Sicherheit durch Gewaltmonopol oder Gewaltwettbewerb?
Sicherheit durch Gewaltmonopol oder Gewaltwettbewerb?

Sicherheit durch Gewaltmonopol oder Gewaltwettbewerb?

(mvp) 1849 erschien im Journal des Économiste ein epochaler Aufsatz: „De la production de la sécurité“, verfasst vom belgischen Ökonom Gustave de Molinari (1819-1912).

Die Kernaussage lässt sich mit nur einem Ein-Satz-Zitat wiedergeben: „Das Interesse des Konsumenten eines jedweden Gutes muss immer Vorrang gegenüber dem Interesse des Produzenten genießen.“ Ein einziges Wort macht den Unterschied: jedweden.

In seinem überaus anregenden Aufsatz versucht der relativ junge Molinari nämlich zu belegen, dass Sicherheit nicht von dem herkömmlichen Monopolisten, also dem Staat, gewährleistet werden soll, sondern im Wettbewerb auf dem Markt. Im Rückblick war mit diesem Gedanken der Anarchokapitalismus geboren.

Gut 50 Jahre zuvor hatte der englische Gelehrte William Godwin in seinem Hauptwerk „Enquiry concerning political justice“ die zentralen Elemente der anarchistischen Theorie formuliert. Jedwede staatliche Gewalt stelle einen Eingriff in die private Urteilskraft dar, schrieb Godwin 1793. Parallel zum klassischen Liberalismus entwickelte sich der Anarchismus – und für Molinari war das die konsequente Weiterentwicklung des Liberalismus selbst.

Dreh- und Angelpunkt des Anarchokapitalismus ist die Abschaffung des Staates, dessen Aufgaben private Anbieter übernehmen würden. Ganz dem Wesen der Marktwirtschaft entsprechend sollen die Konsumenten die Produktion steuern – im Unterschied zur Staatswirtschaft und staatlich dirigierten Wirtschaft.

Die naheliegende Frage lautet: Warum nicht auch das Gut Sicherheit durch private Sicherheitsproduzenten bereitstellen lassen? Gerade weil den Menschen Sicherheit so sehr am Herzen liegt, sollte der Gewaltwettbewerb an die Stelle des Gewaltmonopols treten!

Molinari schlussfolgerte, keine Regierung dürfe eine andere Regierung daran hindern, mit ihr in Konkurrenz um die Nachfrage der Konsumenten nach Sicherheit zu treten. Zudem stellte er fest, dass die bisherige Produktion von Sicherheit fast durchweg einen Monopolcharakter besessen habe.

Ursächlich sei die Erkenntnis, dass das Einbeziehen von unfreiwilligen Konsumenten eine erhebliche Gewinnsteigerung ermögliche. Das hatte die bekannten Folge: Kriege zwischen den Sicherheitsanbietern. Stets war das Ziel, territoriale Sicherheitsmonopole zu errichten und so die Ausbeute zu erhöhen.

Und genau an diesem faszinierendem Punkt, an dem die Alternative gerade zum Greifen nah scheint, an dem Molinari seine Idee des Gewaltwettbewerbs präsentiert, rückt sie offenkundig in unerreichbare Ferne. Es hat in der Geschichte der Menschheit keinen (dauerhaften) Gewaltwettbewerb gegeben.

Dort, wo es Gewaltwettbewerb gegeben hat und gibt, wird der territoriale Monopolist ausgekämpft. Der Sieger wird nicht nach den Kriterien Effizienz und Nachfrageausrichtung gekürt. Es gilt einfach: The winner takes it all. Und es ist nicht absehbar, warum oder wie sich daran etwas ändern sollte.

Die Begründung dafür ist logischer und empirischer Natur: Aus machtpolitischen Gründen kann Sicherheit keine rein private Dienstleistung sein: Der Einsatz von Zwang als Dienstleistung setzt Anreize, diese nicht nur für die Kunden zu nutzen, sondern zur Gewinnmaximierung und Ausschaltung von Wettbewerbern. Genau so hat es Molinari beschrieben.

Sogar in einer staatenlosen Welt würde sich mit Robert Nozick (Anarchy, State, and Utopia) ein natürliches Monopol bilden, während es Tyler Cowen zufolge zu einer Kartellierung käme (Rejoinder to David Friedman on the Economics of Anarchy, in: Economics and Philosophy 10 (1994), No. 2 (October), 329–32.

Eine prägnante Formel hat dafür Randall G. Holcomb geprägt: „The State is unnecassary, but inevetable“ (The Independent Review, 8 (2004), 325–342). Und es liegt nahe, dass die Herrschaft von Menschen über Menschen nicht nur einseitig von oben erfolgte, sondern von unten akzeptiert und sogar nachgefragt wurde. Sicherheit ist ein janusköpfiges Gut: Sicherheit herrscht nicht zuletzt, sondern zuerst, wenn nicht um sie gekämpft werden muss. Ist das Monopol erreicht, kann es zum Missbrauch einladen.

Umso wichtiger ist es, dass es den Wettbewerb der Territorien gibt, den Molinari fordert. Wir leben in einer Welt von Staaten. Und wenn diese im Wettbewerb mit einander stehen, dann gibt es einen gewissen Druck, bessere Sicherheit zu gewährleisten. Zusätzlicher Druck durch zumindest partiellen Wettbewerb, ohne das Gewaltmonopol insgesamt in Frage zu stellen, dürfte sich als hilfreich erweisen.

Und das ist angesichts der wachsenden Sicherheitsbranche längst der Fall. Ohnehin gibt es heute eine Fülle von Checks und Balances, die der Kontrolle und Einhegung staatlicher Macht dienen. Sie zu verbessern und den Staat zurückzudrängen ist eine zentrale Herausforderung unserer Zeit und vielleicht sogar die Voraussetzung für ein anarchokapitalistisches Experiment.

Die Sicherung der Freiheit und die Verbesserung der Lebensbedingungen ist das Ziel des Liberalimus, nicht die Abschaffung des Staates. Der Staat ist eine Vereinigung von Bürgern unter Rechtsgesetzen, durch die die gleiche Freiheit für alle hergestellt und gesichert wird.

Ein Dank gebührt Freitum, namentlich Tomasz Froelich, der die weitreichenden Gedanken Gustave de Moliaris zur Produktion von Sicherheit in ansprechender Buchform verfügbar gemacht hat.
Gustave de Molinari: Produktion der Sicherheit, aus dem Französischen von Jörg Guido Hülsmann und Reinhard Stiebler, hg. v. Tomasz M. Froelich, edition freitum # 1, Leipzig 2015, 56 S., 4,49 Euro.