Geld ist eine Frage des Charakters
Geld ist eine Frage des Charakters

Geld ist eine Frage des Charakters

In Hangzhou, einer 8 Millionen Stadt in China, kann man fast durchweg per Smartphone bezahlen: U-Bahn-Tickets, City-Bikes mieten, Kaffee und Sandwiches, sogar Gemüse auf dem Bauernmarkt, aber auch ein Arztbesuch. All dass ist ohne Bargeld zu haben. Sämtliche Zahlungen erfolgen über Alipay oder Tenpay. Ein QR-Code reicht. Selbst Bettler sollen Berichten zufolge keinen Hut mehr aufstellen, sondern ein Schild mit einem QR-Code.

Das ist die schöne neue Welt, die gepriesen wird. Weg mit dem Anachronismus, dem unpraktischen Bargeld heißt es. Bargeldlos soll auch Europa werden. Zu Hangzhou passt Huxley, nicht wegen des gleichen Anfangsbuchstabens. Diejenigen, die Huxleys Roman „Schöne neue Welt“ gelesen haben, wissen, dass es sich um eine Dystopie handelt. Die schöne neue Welt ist totalitär. Es gibt kein Entrinnen aus dem Kastensystem. Jeder Mensch hat an seinem ihm zugewiesenen Platz zu dienen und wird über Belohnung und Bestrafung konditioniert.

Wie Sie vermutlich auch wissen, ist eine derartige Konditionierung in China gerade angelaufen. Bis 2020 soll ein umfassendes System geschaffen werden, dass das Verhalten der Bürger bewertet und steuert. Die chinesische KP gibt vor, damit den moralisch einwandfreien und ehrlichen Bürger schaffen zu wollen. Eine chinesische Form von Nudging, hier und dort ein kleiner Stupser. Erfasst wird alles: die Zahlungsmoral, jede Einkaufsgewohnheit und jedwedes soziale Verhalten, Fitness inklusive, aber auch, wenn Sie keine Fitness-Kurse buchen oder keine Fitness App haben. Der Datenzugriff in Hangzhou ist durch das bargeldlose Zahlen gigantisch – für Konzerne und für den Staat.

Der Weg zum Totalitarismus

Totale Überwachung und totale Konditionierung funktionieren, sobald es kein Bargeld mehr gibt. Ohne Bargeld kann man alles über Ihr alltägliches Leben herausfinden. Wann Sie sich wo aufhalten, was sie kaufen, mit wem sie Geschäfte machen, welche Vorlieben sie haben, ob Sie gesund sind, ob Sie ein treuer Bürger im Sinne der Regierung sind. Bargeld hingegen beschränkt das Wissen über die Zahlungsmoral, die Einkaufsgewohnheit und das soziale Verhalten auf die am Tausch beteiligten Menschen.

Es heißt, Geld ist eine Frage des Charakters. Das gilt gleich dreifach: für Ihr persönliches Verhalten, für das Verhalten des Staates und für den Währungsstandard, in dem das Verhältnis von Bürger und Staat sichtbar wird. Ohne Bargeld verändert sich der Charakter.

Die Bargelddebatte

Wer sich einen Überblick über die Debatte zur Abschaffung des Bargelds verschafft, der stößt recht schnell auf zentrale, wiederkehrende Themenfelder:

  • für den Bereich der Zentral- und Geschäftsbanken die Steuerung der Wirtschaft über Negativzinsen und die Kosten von Bargeld,
  • für den Sicherheitsstaat illegale Aktivitäten wie Schattenwirtschaft, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,
  • für den Bereich der Bürgerrechte die Privatsphäre und der Datenschutz.

Die Bargeldfrage hat zwar viele Facetten, ist nach meiner Wahrnehmung aber nicht besonders kompliziert, zumindest nicht was die strategische Perspektive betrifft. Und ich stehe – erwartbar – unmissverständlich auf der Seite derjenigen, die ein Bargeldverbot für illegitim, ungerechtfertigt und für gefährlich halten.

  1. Negativzinsen sind eine ungeheure Anmaßung; es handelt sich um nicht weniger als einen Frontalangriff auf die Konsumentensouveränität. Das Problem sind nicht die Verbraucher, die nicht genug konsumieren. Reich werden durch Geld ausgeben? Das funktioniert weder beim Individuum, noch in der Familie, noch in der Gesellschaft. Das Problem ist vielmehr, dass die Produktivität der Unternehmen zu gering für ein höheres Wachstum ist. Wer nach Gründen sucht findet sie in schlechten Institutionen und vor allem bei den Zentralbanken selbst. Die Inflationsbehörden lassen unproduktive Unternehmen überleben. Wer den Konsumenten angreift, greift die Marktwirtschaft in ihrem Kern an. Also brauchen wir ein besseres Geldsystem. Die Optionen sind lange bekannt: Zentralbanken an Regeln binden. Zentralbanken dem Wettbewerb aussetzen, privates Geld zulassen.
  2. Was die Kosten für den Bargeldgebrauch anbetrifft, so ist Studien zufolge das Bezahlen mit Bargeld nicht teuer; es liegt sogar mitunter unter den Kosten für eine Transaktion per Kreditkarte. Selbst im Fall vergleichsweise hoher Kosten, ist es nicht Aufgabe von Politikern diese per Dekret zu senken. Vielmehr gilt es den marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu entfesseln und dessen Ergebnisse abzuwarten – innerhalb des Systems eines gesetzlichen Zahlungssystems und, noch besser, durch dessen Öffnung für private Konkurrenz.
  3. Was die Sicherheit betrifft, so werden wir nach meinem Eindruck mit einem Mix aus Kurzsichtigkeit und Unzulänglichkeit konfrontiert. Die Organisierte Kriminalität verwendet Bargeld und in viel größerem Ausmaß Bankgeld. Eine Abschaffung von Bargeld würde nur geringfügige Auswirkungen haben, z.B. beim Taschendiebstahl. Zugleich fielen positive externe Effekte weg, weil Bargeld, z.B. Dollar oder Euro, auch in Ländern mit anderen Währungen verwendet wird und dort als stabile Alternative dient. Angesichts der spektakulären großen „Cyber“-Diebstähle und der vielen kleinen elektronischen Diebstähle, vom Kreditkartenbetrug bis zum Phishing, frage ich mich, ob das Thema Sicherheit als gezielte Desinformation dient.

Schließlich gilt es die Stabilitäts- und Sicherheitsaspekte des elektronischen Systems zu berücksichtigen. Ein Bankenstreik, ein elektronischer Bankenrun kann viel dramatischer ausfallen, da ein Bargeldabzug regelmäßig die Gemüter beruhigte.

  1. Zum Datenschutz: Ohne Bargeld ist die völlige Nachvollziehbarkeit aller monetären Aktivitäten für den Staat, Konzerne und Kriminelle möglich. Es gäbe keine Privatsphäre mehr. Wer will das wirklich, außer Befürworter eines autoritären Staaest? Es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht vollständig transparent handeln wollen. Darunter fällt auch schlechtes Verhalten oder Handeln. Indes heißt schlecht nicht illegal. Noch eine Randbemerkung: Bemerkenswerterweise wird Bargeld sogar für E-Commerce genutzt, nämlich für das Abholen und Bezahlen in einem Shop nach dem Kauf im Internet.

Fazit

In allen Bereichen – Negativzinsen, Bargeldkosten, Sicherheit und Datenschutz – gibt es kein überzeugendes, vielleicht nicht einmal ein substanzielles Argument für die Abschaffung von Bargeld.

Zugleich ist das gesetzliche Zahlungsmittel eine widersprüchliche Konstruktion. Der Gesetzgeber beschränkt Geschäfte mit Bargeld (Obergrenzen – in Griechenland 500 Euro) und verbietet das Bezahlen von z.B. Rundfunkgebühren mit Bargeld. Zentralbanken setzen enorme Anreize für Geschäftsbanken, bargeldlosen Zahlungsverkehr zu benutzen und zu fördern, während ihnen Kosten für die Verwendung von Bargeld entstehen.

Ausblick

In mehreren europäischen Ländern streben die Zentralbanken eine stärkere Verbreitung von bargeldlosen Bezahlen und einer Abschaffung von Bargeld an, darunter Holland, Norwegen, Schweden und Finnland. Teil dessen ist die Abschaffung des 500 Euro Scheins.

Nur gut, dass EZB für „Europa Zahlt Bar“ steht. Schließlich ist die Bedeutung des Bargeldes wegen seines weit verbreiteten Gebrauchs nach wie vor enorm. Darüber sollten sich auch die Geschäftsbanken freuen. Denn wer braucht solche Institutionen noch in einer bargeldlosen Welt? Microsoft, Apple, Amazon, Ebay und Telekommunikationsunternehmen können vermutlich den Zahlungsverkehr übernehmen. So weit darf es nicht kommen. Geld ist eine soziale Institution. Geld ist das Resultat menschlichen Handelns, aber nicht Folge eines Plans. Diese kulturelle Dimension weist auf den Charakter des Geldes hin und stellt klar, dass für einen derart weitreichenden Plan wie die Abschaffung des Bargelds keine Regierung ermächtigt ist.

Literaturhinweis: Einen guten Überblick über die Debatte gibt Malte Krüger: Pros and Cons of Cash: The State of the Debate. Credit and Capital Markets – Kredit und Kapital, Vol. 51, No. 1, 2018, 15-40. (mit Franz Seitz).