Die New Contractarians – Behemoth gegen Leviathan
Die New Contractarians – Behemoth gegen Leviathan

Die New Contractarians – Behemoth gegen Leviathan

Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen
von Rick Wendler
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Inhaltsverzeichnis
I. Einführung 3
1. Leviathan und Behemoth 3
2. Exkurs: Tod und Renaissance der politischen Philosophie 4
II. John Rawls und der Schleier des Nichtwissens 6
1. Universalismus 6
2. Gerechtigkeit als Fairness 7
3. Gesellschaftliche Grundgüter 8
4. Die Prinzipien der Gerechtigkeit 9
5. Gesamtbetrachtung 11
III. Robert Nozick und die unsichtbare Hand 11
1. Die beste Anarchie, auf die man hoffen kann 12
2. Zur vorherrschenden Schutzvereinigung 13
Zur Staatlichkeit 14
4. Die Anspruchstheorie der Gerechtigkeit 15
5. Historische Theorie und Endzustandsgrundsätze 15
6. Kritik an Rawls 16
7. Über Gleichheit, Ausbeutung und Mitbestimmung 17
8. Gesamtbetrachtung 18
IV. James Buchanan und der ökonomistische Kontrakt 19
1. Von der Anarchie zum Kontrakt 20
2. Der konstitutionelle Kontrakt 21
3. Der postkonstitutionelle Kontrakt 22
4. Die Demokratie als ihr eigener Leviathan 23
5. Gesamtbetrachtung 25
Literaturverzeichnis 27

I. Einführung

1. Leviathan und Behemoth

Es ist Hobbes alttestamentarische Metapher des Leviathan1 als Symbol für den Staat, die maßgeblich zu seinem Ruhm und seiner Rezeption geführt hat.2 Allerdings erschöpft sich diese Metapher nicht in der Beschreibung eines deus mortalis, der durch den „terror“ seiner Macht alle zum Leben zwingt.3 Das Seeungeheuer Leviathan hat in der Mythologie einen ebenso mächtigen und angsteinflößenden Gegenspieler: das Landungeheuer Behemoth. Angesichts der Hobbesschen Metapher überrascht es nicht, dass die Deutungen des Leviathan und des Behemoth die Weltgeschichte als einen Kampf zwischen den beiden Ungeheuern sehen.4 So ist auch für Hobbes Behemoth das Symbol der Anarchie, des bellum omnium contra omnes, gegen dessen ständige Drohung nur der mächtige Leviathan Sicherheit zu gewähren vermag.5 Doch ist der Leviathan keineswegs die unumschränkte Utopie. Denn wenn man den erbarmungslosen Kriegszustand der Anarchie als schlechtest möglichen Ausgangspunkt wählt, muss man auch den schlechtest denkbaren Staatszustand als mögliches Ziel im Auge haben. Angesichts einer solchen Perspektive auf den Leviathan, auf den Staat als „das kälteste aller kalten Ungeheuer“6 und mit Blick auf den absolutistischen Polizei- und Wohlfahrtsstaat des 18. Jahrhunderts und die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, ist dieser keinesfalls zwangsläufig dem Behemoth vorzuziehen. Es stellt sich vielmehr die Frage, „ob nicht die Kur schlimmer als die Krankheit ist“7. Daher bestimmt der Kampf zwischen Leviathan und Behemoth sinnbildlich das Spannungsverhältnis der politischen Philosophie zwischen Staat und Gesellschaft, bzw. zwischen Kollektiv und Indiviuum.

Es erscheint unwahrscheinlich, dass friedliches und freiheitliches Leben aller gelingen kann, wenn eine der Kreaturen die Oberhand gewinnt, die andere tötet, um dann allein den Fortgang der Weltgeschichte zu bestimmen. Es müssten vielmehr beide gezähmt werden. Doch aus dem Buch Hiob geht hervor, dass kein Mensch es vermag, auch nur eines der Ungeheuer zu bändigen. Gott allein ist den beiden gewachsen. Angesichts dessen erscheint es für die Menschen nicht sonderlich erfolgsversprechend, sich mit ihnen einzulassen und sie für sich nutzbar machen zu wollen. So werden Leviathan und Behemoth auch im Mythos durch Gott getötet. Erst mit dem Tod beider sei der Tag der Gerechtigkeit gekommen.8

Es ist diese Frage nach Gerechtigkeit, das Spannungsverhältnis zwischen Leviathan und Behemoth, welches die politische Philosophie der New Contractarians9 umtreibt. Rawls und Nozick, ebenso wie Buchanan veruchen jeder auf seine Art den einen oder anderen Schlag gegen die Ungeheuer zu führen, um so die Grenzen der Wirksamkeit des Staates10 und die Prinzipien der Gerechtigkeit zu bestimmen. Es ist die maßgebliche und traditionsreiche Frage, die anhand dieser Arbeit nachvollzogen werden soll, zu welchem Zweck der Staat bestehen und welche Schranken seiner Wirksamkeit11 ihnen zufolge gesetzt sein sollen.

2. Exkurs: Tod und Renaissance der politischen Philosophie

Angesichts des Anspruchs Thomas Hobbes, Begründer der politischen Philosophie zu sein12 (die Richtigkeit dieser These sei hier dahingestellt), stellt sich die Frage, ob man bei den vorliegenden Werken des späten 20. Jahrhunderts überhaupt von politischer Philosophie sprechen kann – wurde sie doch kurz zuvor für tot erklärt.13

Seit Platons Streit mit den Sophisten über das Wesen der Gerechtigkeit gehört das Politische zur Philosophie. Die politische Philosophie hat über Jahrhunderte die logische und argumentative Begründungskraft für die richtige Gestaltung der politischen Lebensverhältnisse gegeben.14 Doch der aufstrebende Szientismus mit seinem wissenschaftsorientierten Erkenntnis- und Weltverständnis verdrängte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die praktisch-politische Philosophie und brach mit ihrer Tradition. „Das große Erbe von Hobbes und Locke, Rousseau und Kant verstaubte im Museum der Geistesgeschichte.“15 Der aufkommende Utilitarismus tat das übrige und verdrängte das menschenrechtlich-egalitaristische des Sozialkontrakts zugunsten der Nützlichkeit aus den verbleibenden Diskussionen der politischen Philopsophie, was schließlich zu ihrem Tod führte.16 Doch „die Zeit ihrer Marginalisiserung und Missachtung“17 sollte bald vorüber sein. Mit John Rawls „A Theory of Justice“ und den daran anknüpfenden modernen Vertragstheorien Robert Nozicks und James Buchanans erwachte die politische Philosophie zu neuem Leben.

Rawls knüpft an die konstruktive Philosophie der großen politischen Philosophen der Neuzeit an und übernimmt die philosophische Zuständigkeit für die Gerechtigkeitsdiskurse der politischen Öffentlichkeit.18 Die große Frage der klassischen Kontraktualisten ist allerdings beantwortet – die nach der Herrschaftslegitimation. Die New Contractarians führen keinen souveränitätstheoretischen Diskurs mehr, weil dieser durch das positive Verfassungsrecht in Übereinstimmung mit der klassischen neuzeitlichen Philosophie entschieden wurde. Das Comeback des totgesagten Vertrags ist ein rechtfertigungstheoretischer Kontraktualismus eines Rechtfertigungsverfahrens der prinzipientheoretischen Grundlegung sozialer und politischer Gerechtigkeit. Die Anwendung dieses Programms der kontraktualisitschen Entwicklung und Rechtfertigung auf sozialethische Prinzipien macht die moderne Version der klassischen Vertragslehre aus.19

Es ist der Konsensualismus, der sowohl die legitimationstheoretische Attraktivität des klassischen, als auch die rechtfertigungstheoretische Attraktivität des modernen Kontraktualismus ausmacht.20

Diese kontraktualistische Konzeption des Konsens beruht auf dem neuzeitlichen Menschenbild der Autonomie. Die Freiheit des autonomen Individuums kann nur durch einen Willensentschluss seiner selbst beschränkt werden. Daher verlangt die Rechtfertigung gesellschaftlicher Grundsätze die Zustimmung und Billigung aller Beteiligter. Die Hypothetizität des Vertragsschlusses bedeutet dabei nicht, dass die durch ihn gefundenen Grundsätze mangels tatsächlicher Zustimmung keine Verbindlichkeit hätten. Der Vertrag ist vielmehr ein Kriterium zur Findung verbindlicher Prinzipien, auf die sich Menschen unter bestimmten fairen Bedingungen einigen würden. Denn der Gesellschaftsvertrag ist keine wirkliche Übereinkunft, sondern ein Gedankenexperiment, eine regulative Idee.21 Die Prinzipien, die sich aus ihm ableiten lassen, sind maßgeblich abhängig von der Situation, in der die Übereinkunft stattfindet. Sie sind gewissermaßen bereits in dem Naturzustand angelegt.22

Dabei nehmen die neokontraktualistischen Konzepte eine zu ihren klassischen Vorbildern entgegengesetzte Entwicklung: im klassischen Kontraktualismus begann die Entwicklung mit Hobbes’ Individualismus, setzte sich mit einem besitzindividualistischen Kontrakt bei Locke fort und führte zum Universalismus Rousseaus und Kants. Der Ausgangspunkt der modernen Theorien hingegen ist der Rawls’sche universalistische Kontrakt. Daran knüpft Nozicks besitzindividualistische Konzeption in Anlehnung an Locke an. Buchanan schließt den Kreis, indem er mit seiner inividualistischen Theorie im Sinne Hobbes’ zu den Ursprüngen des neuzeitlichen Kontraktualismus zurückkehrt.

Mit der politischen Philosophie ist auch der philosophische Liberalismus wiederauferstanden, der die New Contractarians verbindet. Dabei diente insbesondere Kants Kritik des polizeistaatlichen Wohlfahrtseudämonismus seiner Zeit als Vorbild für die Kritik des Liberalismus am Utilitarismus. Es ist diese Ablehnung des Utilirarismus, die das verbindende Element für die New Contractarians ist.23

Dass sowohl Rawls, wie auch Nozick und Buchanan antiutilitaristische Liberale sind, sollte jedoch keine Einmütigkeit vortäuschen. Denn auch der philosophische Liberalismus ist gespalten in egalitären und libertären Liberalismus, welche sich nicht weniger unversöhnlich gegenüberstehen. Während der liberale Egalitarismus im Sinne Rawls’ gegenüber dem Utilitarismus als bessere philosophische Interpretation der intuitiven Gleichheitsüberzeugungen angesehen wird, ist der Libertarismus Nozicks und Buchanans mit seinen absoluten property rights unüberbrückbar vom nutzenmaximierenden Utilitarismus getrennt.24

II. John Rawls und der Schleier des Nichtwissens

1. Universalismus

Die Renaissance der politischen Philosophie beginnt mit Rawls auf der Grundlage einer universalistischen Vertragskonzeption in Anlehnung an Rousseau und Kant.25

Der klassische universalistische Ansatz entsprang insbesondere aus der Ablehnung des besitzindividualistischen Ansatzes bei Locke, dessen apriorische Rechte zu Ungleichheiten führten, die eine Einigung unmöglich machten. Deswegen legte Rousseau das Augenmerk darauf, die individuellen Interessen im Naturzustand zu beseitigen, um daraus verbindliche Grundsätze sozialen Handelns ableiten zu können. Erst wenn die Menschen sich von all ihren Besitztümern befreit hätten, hätten sie sich auch ihrer Partikularinteressen entledigt und das Selbstinteresse eines jeden führe so automatisch zu dem gemeinsamen Interesse an der Gemeinschaft. Dies macht die universalistische Perspektive aus, in der alle Menschen gleiches Gewicht haben. In dieser Situation lässt sich niemand von Sonderinteressen leiten, vielmehr ist das Interesse des Einzelnen identisch mit dem allgemeinen Interesse – la volonté générale.26 Rousseau zielte mit diesen Gedanken allerdings auf eine Umsetzung in der Realität ab.

Kant betonte hingegen die Notwendigkeit der Abstraktion, um den Grundgedanken Rousseaus als regulative Idee zu verstehen, als hypothetische Konstruktion, die die Kritik sozialer Institutionen ermöglicht.27 Für Kant waren die empirischen Zwecke der Menschen für die Rechtmäßigkeit der Gesetze ohne Bedeutung, die Beurteilung gemeinschaftlicher Verhältnisse habe allein nach der reinen Vernunft zu erfolgen.28 Die Idee dieses Gesellschaftsvertrags ist es also, die individuellen Rechte auf die Grenzen ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit nach einem allgemeinen Gesetz zu beschränken, dem jedermann als autonome Person zustimmen kann. Dies führte zu dem Vorwurf, Kant sehe den Gesellschaftsvertrag nur als Übereinkunft, mit dem Ziel der verallgemeinerungsfähigen Einschränkung der angeborenen Freiheit aller Menschen.29

Kants Argument, dass die Menschen so verschiedenartige Vorstellungen von ihrem Wohl hätten, dass sie unter kein gemeinschaftliches Prinzip zu bringen seien, stimme nur auf der Ebene ihrer vielfältigen persönlichen Neigungen. Auf der Ebene elementarer sozialer Güter hingegen zeige sich ein hohes Maß an Gemeinsamkeit der menschlichen Ziele. Daher dürften die empirischen Zwecke der Menschen nicht unberücksichtigt bleiben. Der Sozialkontrakt sei eine Form der kollektiven Entscheidung, die den grundlegenden Zielen aller Menschen gleichermaßen Rechnung trägt und zugleich den Interessen jedes Einzelnen in größtmöglichem Umfang Geltung verschafft.30

Genau das ist die Intention Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit.31 Er sieht die Vertragssituation als Zustand anfänglicher Freiheit und Gleichheit, in der die Vertragsparteien zwar nicht frei von empirischen Zwecken und Interessen sind. Aber sie sind auf die Verfolgung solcher Zwecke beschränkt, die die gemeinsamen Ziele und Interessen der gesamten Menschheit vertreten. Bei Rawls verfolgt jeder Mensch seine eigenen Interessen und zugleich die jedes anderen.32 Aus einer solchen Übereinkunft werden die Gerechtigkeitsgrundsätze für die gesellschaftliche Grundstruktur hergeleitet. „Es sind diejenigen Grundsätze, die freie und vernünftige Menschen in ihrem eigenen Interesse in einer anfänglichen Situation der Gleichheit […] annehmen würde.“33 Diese Gerechtigkeitsgrundsätze nennt Rawls „Theorie der Gerechtigkeit als Fairness“34.

2. Gerechtigkeit als Fairness

Die ursprüngliche Situation der Gleichheit, die dem Urzustand im klassischen Kontraktualismus entspricht, soll allem voran gewährleisten, dass „niemand durch die Zufälligkeiten der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird“.35 „Der Gedanke des Urzustands soll zu einem fairen Verfahren führen, demgemäß eine Übereinkunft über Grundsätze nur zu gerechten Grundsätzen führen kann,“ wobei die „reine Verfahrensgerechtigkeit“36 als Grundlage der Theorie dient. Zu diesem Zweck soll die Entscheidung über die Grundsätze der Gerechtigkeit in einer fairen Ausgangssituation festgelegt werden, die charakterisiert ist durch den „Schleier des Nichtwissens“37.

Die Parteien „wissen nicht, wie sich die verschiedenen Möglichkeiten auf ihre Interessen auswirken würden, und müssen Grundsätze allein unter allgemeinen Gesichtspunkten beurteilen. Es wird also angenommen, dass den Parteien bestimmte Arten von Einzeltatsachen unbekannt sind. Vor allem kennt niemand seinen Platz in der Gesellschaft, seine Klasse oder seinen Status; ebensowenig seine natürlichen Gaben, seine Intelligenz, Körperkraft usw. Ferner kennt niemand seine Vorstellung vom Guten, die Einzelheiten seines vernünftigen Lebensplans, ja nicht einmal die Besonderheiten seiner Psyche wie seine Einstellung zum Risiko oder seine Neigung zu Optimismus oder Pessimismus, darüber hinaus […] die wirtschaftliche und politische Lage, den Entwicklungsstand der Zivilisation und Kultur. Die Menschen im Urzustand wissen auch nicht, zu welcher Generation sie gehören.“38

Diese Bedingungen des Nichtwissens lösen die Spannung zwischen der Einstimmigkeitsbedingung und der einmütigkeitsverhindernden Unterschiedlichkeit der individuellen Interessenlagen auf.

Des weiteren gilt im Urzustand die Bedingung der Gleichheit. Alle Menschen haben bei der Wahl der Grundsätze die gleichen Rechte. Sie sind auch gleichermaßen vernünftig, sie handeln also widerspruchsfrei und strategisch. Die Annahme der Vernünftigkeit hätte auch zur Folge, dass die Menschen keinen Neid empfinden, der Naturzustand also von gegenseitigem Desinteresse geprägt ist. Kombiniert mit dem Schleier des Nichtwissens gewährleistet das gegenseitige Desinteresse, dass jeder, indem er sein eigenes Interesse verfolgt, gleichzeitig das Interesse aller befördert. Schließlich versieht Rawls die Urzustandsbewohner mit einem Gerechtigkeitssinn, der sie sich an die einmal gewählten Gerechtigkeitsgrundsätze halten lässt.39

In Rawls universalistischer Konzeption des Urzustands werden die Parteien mithin zu der Interessenidentität einer einzigen repräsentativen Person zusammengefasst, die Vertragsverhandlungen im eigentlichen, Interessenkomplementarität voraussetzenden Sinne überflüssig macht.40 Das Vertragsmotiv drückt also sowohl bei den klassischen, als auch bei den modernen Kontraktualisten aus, dass eine intersubjektiv gültige Rechtfertigung normativer Prinzipien den Nachweis ihrer allgemeinen Zustimmungsfähigkeit durch freie und gleiche Personen darlegen muss.41

3. Gesellschaftliche Grundgüter

Durch die Entindividualisierung hinter dem Unwissenheitsschleier bleibt nur noch die allgemeine Orientierung an den formalen, allgemeinen und allen Individuen gemeinsamen Glücksbedingungen und den grundlegenden gesellschaftlichen Gütern, deren Besitz über die Lebensqualität und die Zukunftsaussichten eines jeden gleichermaßen entscheidet. Für Rawls hängen die Aussichten eines gelingenden Lebensplans mit den Aussichten auf jene gesellschaftliche Grundgüter zusammen.42

Grundgüter sind dabei Dinge, die jeder Mensch zum Gelingen seines eigenen Lebens braucht und „von denen man annimmt, dass sie ein vernünftiger Mensch haben möchte, was auch immer er sonst noch haben möchte.“43 Konkret gemeint sind damit politische Rechte und individuelle Freiheiten, ebenso wie Einkommen und Vermögen, welche die Lebenschancen bedingen. Es handele sich bei ihnen um gesellschaftliche Güter, weil sie mit der Grundstruktur der Gemeinschaft zusammenhingen und erst durch ihre Regeln und Institutionen geschaffen würden.44 Die Grundgüter sind also für die Individuen universell nützlich und die institutionellen und materiellen Bedingungen der erfolgreichen Realisierung einer jeden Interessenstrategie, weshalb Rawls Theorie der Gerechtigkeit eine Verteilungsgerechtigkeit für ebendiese Grundgüter darstellt.45

4. Die Prinzipien der Gerechtigkeit

Es stellt sich also die Frage, welche Prinzipien die Urzustandsbewohner wählen, um die Grundgüter gerecht zu verteilen. Das von Rawls konstruierte Entscheidungsverfahren listet alle in Betracht kommenden Grundsätze auf, die jemals ernsthaft angeführt wurden.

Dabei führt Rawls geradezu nebenbei den entscheidenden Schlag gegen Behemoth, die Anarchie. Diese wird als „der allgemeine Egoismus, […] der jedermann gestattet, alles zu tun, was nach seinem Urteil seinen Zielen dienen könnte“46, bei dem die Verteilung das Ergebnis von Gewalt und List ist und der dem Hobbesschen Naturzustand entspricht, nicht auf die den Urzustandsmenschen vorzulegende Liste aufgenommen. Denn er sei „intuitiv moralisch nicht zulässig“47.

Aus der vorgelegten Liste werden so dann unter den gezeigten Bedingungen und Eigenschaften des Urzustands die vernünftigsten und akzeptabelsten gewählt.48

Rawls nimmt als Ausgangspunkt der Überlegung eine völlige Gleichverteilung aller Güter an. Die Gesamtmenge aller gesellschaftlichen Güter sei jedoch keine feststehende Größe, sie sei vielmehr unter bestimmten Umständen vermehrbar. Daher würde eine Ungleichverteilung von allen akzeptiert werden, wenn sie jeden besser stelle, als der Ausgangszustand völliger Gleichverteilung.49 Dies fasst Rawls zu einer allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung zusammen: „Alle sozialen Werte – Freiheit, Chancen, Einkommen und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung – sind gleichmäßig zu verteilen, soweit nicht eine ungleiche Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht.“50 Aus dieser Formulierung ergibt sich bereits, dass Gerechtigkeit nicht notwendig Gleichverteilung impliziert, eine Ungleichverteilung aber durch eine jedermann betreffende Vorteilhaftigkeit legitimiert sein muss.51

Bei dieser allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellung sind jedoch die immateriellen und die materiellen Grundgüter prinzipiell gleichgestellt, woraus sich das Problem ergibt, dass Freiheit und Wohlstand gegeneinander aufgerechnet werden könnten. Um einer solchen utilitaristischen Nutzenmaximierung entgegenzutreten, zerlegt Rawls die Gerechtigkeitsvorstellung in zwei Prinzipien – in ein egalitaristisches Verteilungsprinzip der rechtlich-politischen Gerechtigkeit und ein nicht-egalitaristisches Verteilungsprinzip der sozio-ökonomischen Gerechtigkeit.52

Die zwei Prinzipien der Gerechtigkeit lauten:

„1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.

2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.“53

Mögliche Konflikte zwischen den beiden Prinzipien löst Rawls von vornherein durch eine lexikalische Ordnung, indem das erste Prinzip einen ausnahmslosen Vorrang vor dem zweiten beansprucht. Das bedeutet, dass Verletzungen der gleichen Grundfreiheiten nicht durch größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile gerechtfertigt werden können.54 Dieser Dualismus von notwendig gleicher Freiheit in politicis und erlaubter Ungleichheit in oeconomicis reflektiert den Dualismus von Staat und Gesellschaft.55

Das erste Gerechtigkeitsprinzip regelt die gleiche Verteilung von Grundfreiheiten und politischen Rechten und verlangt eine Maximierung der individuellen Freiheit.56

Das zweite Prinzip betrifft die Verteilung sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheiten und stellt ein Erlaubniskriterium für diese dar, indem es vorschreibt, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen müssen. Rawls betont, dass die Vorteilhaftigkeit für jedermann in Teil (a) des zweiten Prizips nicht im Sinne der Pareto-Optimalität, als Optimalitätsprinzip zu interpretieren ist. Danach wäre eine Verteilung optimal, wenn es unmöglich wäre, die Lage irgendeines Individuums zu verbessern, ohne die eines anderen zu verschlechtern. In einem System nach einem solchen Optimalitätsprinzip könnte auch Sklaverei gerecht sein, wenn ein entsprechender Anfangszustand vorliegt. Diese Unbestimmtheit hinsichtlich des Anfangszustands räumt Rawls aus, indem er das zweite Prinzip als Differenzprinzip interpretiert. Demnach sind die besseren Aussichten der Begünstigten nur dann gerecht, wenn sie zur Verbesserung der Aussichten der am wenigsten Begünstigten beitragen.57

Auch Teil (b) des zweiten Grundsatzes bedürfe einer Präzisierung. Denn das Offenstehen von Positionen und Ämtern für jedermann erschöpfe sich keines Falls in einer formalen Chancengleichheit, wie sie aus dem System der natürlichen Freiheit folge. Chancengleichheit in einem rein formalen Sinne bleibe abhängig von der zufälligen, durch Natur und soziale Geburtsumstände vorgegebenen Willkür. Daher müsse ein System liberaler Gleichheit durch ein auf den Abbau von Klassenschranken gerichtetes Schulsystem für eine faire Chancengleichheit sorgen, um die Ungleichheit der Startpositionen zu kompensieren und Menschen mit gleichen Fähigkeiten auch die tatsächlich gleichen Erfolgsaussichten zu verschaffen.58

Rawls bezeichnet die durch Differenzprinzip und faire Chancengleichheit bestimmte Ordnung als System der demokratischen Gleichheit59, welches die Verteilungskriterien autonom und einvernehmlich nach rational gerechtfertigten Kriterien festlegt und so die natürliche Verteilungswillkür korrigiert. Die Theorie der sozialen Gerechtigkeit zielt also auf die Vernunftförmigkeit des gesellschaftlichen Verteilungssystems.60

Dieses System der demokratischen Gleichheit knüpft an die traditionsreiche Triade von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit an. Der Freiheit entspreche der Grundsatz der gleichen Freiheit, der Gleichheit entspreche die Gleichheitsforderung in diesem Grundsatz in Verbindung mit der fairen Chancengleichheit und der Brüderlichkeit das Differenzprinzip.61

5. Gesamtbetrachtung

Auch wenn Rawls’ Urzustand kein Ungeheuer einer existenziell bedrohlichen Anarchie darstellt, erteilt er einem solchen Zustand doch eine klare Absage. Eine Anarchie, ein herrschaftsfreier Zustand kann für ihn keine Utopie der Gerechtigkeit sein. Und zwar nicht nur, weil in ihr ein allgemeiner Egoismus herrsche, der die Verteilung von Gütern durch List und Gewalt bewirke. Selbst eine friedliche Anarchie wäre für ihn unannehmbar, weil die Verteilung der Güter, die alle Menschen zu einem gelingenden Leben brauchen von der Zufälligkeit der unverdienten natürlichen Begabungen und sozialen Herkunft abhänge. Auch wenn Rawls dies nicht ausdrücklich betont, so ist die Notwendigkeit des Staates bei ihm doch immer mitgedacht.

Auch die Grenzen eines Staates ergeben sich nur mittelbar. Aufgrund der lexikalischen Ordnung der Gerechtigkeitsgrundsätze, dürfen individuelle und politische Freiheiten jedenfalls nur eingeschränkt werden, wenn sie untereinander in Konflikt geraten und keines Falls zugunsten einer Verteilung gesellschaftlicher Güter.

Die Notwendigkeit des Staates zur Kompensation der natürlichen Zufälligkeiten und zur Gewährleistung einer fairen Chancengleichheit weist unverkennbare Gemeinsamkeiten zu Marx, aber vor allem zu Hegel auf. Rawls’ Gerechtigkeitsprinzipien, tragen in besonderem Maße der Brüderlichkeit Rechnung und weiten damit die Solidarprinzipien der Familie auf die gesamte Gesellschaft aus, ebenso wie bei Hegel die Korporation, die für ihre Mitglieder zur zweiten Familie wird, als Vorstufe der sittlichen Staatlichkeit.62 Beide haben gemein, dass die Zufälligkeit der Güterverteilung im bürgerlichen Bedürfnissystem der Marktwirtschaft kompensiert und durch Bildung eine faire Chancengleichheit gewährleistet werden soll.

III. Robert Nozick und die unsichtbare Hand

Nozicks Frage nach Gerechtigeit setzt an einer grundlegenderen Stufe an als Rawls. Er beschäftigt sich explizit mit dem Problem, das bei Ralwls nur mitgedacht ist. Denn bevor man nach den gerechten Prinzipien einer sozialen und politischen Struktur fragt, müsse man die Notwendigkeit eines Staates an sich klären. „Warum keine Anarchie?“63 Bevor der Anarchismus nicht widerlegt ist, könne sich nicht mit der Frage einer gerechten Herrschaftsorganisation beschäftigt werden.

Dabei muss eine Kritik sich dorthin begeben, wo der Gegner am stärksten ist. Um den Anarchismus widerlegen und einen Staat rechtfertigen zu können, darf man also nicht von einem Naturzustand ausgehen, der „zwischen den Zeilen bereits ein Plädoyer für den Staat enthällt“64, sondern von einer dem Anarchismus wohlwollend entgegenkommenden Naturzustandskonzeption. Nozick wählt dazu einen Lockeschen Naturzustand, als „den besten anarchischen Zustand, auf den man vernünftiger Weise hoffen kann“65 und versucht, Behemoth allein durch die unsichtbare Hand des Marktes niederzustrecken, indem er zeigt, dass ein Staat aus einer solchen Anarchie ohne kollektiv-intentionale Handlung und ohne Verletzung eines apriorischen Rechts entstehen könnte.66 In einem zweiten Schritt, versucht er den Schlag gegen Leviathan zu führen und eine klare Grenze der Wirksamkeit eines jeden Staates zu bestimmen, indem er darlegt, warum kein über den klassisch liberalen Nachtwächterstaat hinausgehender Staat gerecht sein kann, insbesondere nicht aufgrund der Notwendigkeit einer Verteilungsgerechtigkeit im Sinne Rawls.67

1. Die beste Anarchie, auf die man hoffen kann

Nozick wählt demnach als Ausgangspukt einen besitzindividualistischen Naturzustand, indem die Menschen bereits a priori, also vor jeder vertraglichen Vereinbarung, mit natürlichen Rechten ausgestattet sind. Der Naturzustand konstituiert damit – anders als bei Rawls – nicht erst die Bedingungen der Moralität der sozialen Ordnung. Ihm liegt vielmehr eine natürliche Moralität zugrunde. In diesem Zustand hat jeder ein Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit sowie auf Eigentum an den Erträgnissen der eigenen Arbeit. Dies sind bei Locke die Rechte erster Ordnung. Um diese wirksam zu machen, gibt es bei Locke auch Rechtsdurchsetzungsrechte – Rechte zweiter Ordnung. Dazu gehört das Recht auf Verfolgung von Naturrechtsverletzungen und Bestrafung von Naturrechtsbrechern sowie das Recht auf Entschädigung für erlittene Naturrechtsverletzungen. Diese natürlichen Rechte erster und zweiter Ordnung würden bereits im Naturzustand anerkannt und respektiert und beschränkten so das menschliche Verhalten.68

Das Fehlen einer übergeordneten Autorität bedeute jedoch Unsicherheit bezüglich der Durchsetzung des Schutzes der apriorischen Rechte. An diesem Punkt wird für Locke die vertragliche Einigung aller zur Errichtung eines Staates notwendig, der die natürlichen Freiheiten aber nur in dem Maße einschränkt, das erforderlich für einen wirksamen Schutz ist.69

Diesem Schritt folgt Nozick jedoch nicht, da er, um den Anarchismus möglichst grundlegend zu widerlegen, davon ausgeht, dass die Naturzustandsbewohner gar kein Interesse an der Staatsbildung haben. Daher versucht er zu zeigen, wie ein Staat entstehen kann, ohne dass er gewollt ist, durch das Zusammenspiel vieler einzelner, jeweils rationaler Handlungen.

Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der reine Naturzustand Verbesserungen bedarf. Es wäre ein überspannter Optimismus, den Naturzustand als einen Zustand zu denken, in dem es keine Übertretungen des Naturrechts gäbe. So kann jemandem die Durchsetzung seiner Rechte verwehrt sein, weil ihm der Rechtsbrecher entkommen oder an Machtmitteln überlegen ist. Außerdem trägt das Recht zur Privatjustiz immer die Gefahr der Unverhältnismäßigkeit in sich.70

2. Zur vorherrschenden Schutzvereinigung

Um diesen Defiziten des Naturzustands Abhilfe zu schaffen, gründen die Menschen Schutzvereinigungen. Sie gründen aber nicht eine umfassende – einem Staat entsprechende – sondern viele kleine, lokale, nachbarschaftliche Schutzvereinigungen, die sich dann bereit halten, auf Anforderung jedem Mitglied bei der Verteidigung und Durchsetzung seiner Rechte beizustehen.71 Diese einfachen Nachbarschaftshilfeorganisationen sind jedoch vor Probleme gestellt: jeder muss sich ständig zur Verfügung halten und immer abrufbereit sein, was hohe soziale Kosten bedeutet. Außerdem kann jedes Mitglied seine Genossen mobilisieren, weshalb die Vereinigung Querulanten und Paranoikern sowie der Missbrauchsgefahr aufgrund der Neigung zur Überkompensation ausgeliefert ist. Auch genosenschaftsinterne Streitigkeiten sind problematisch. Würde sich die Vereinigung aus solchen heraushalten, führte dies nach kurzer Zeit zu Mehrfachmitgliedschaften und einem Zustand, in dem jedes Individuum Mitglied jeder Schutzvereinigung sei. Die Entwicklung wäre wieder an ihren Ausgangspunkt gelangt.72

Die Lösung dieses Problems liegt in Spezialisierung, Institutionalisierung und Professionalisierung. Denn es bilden sich strukturierte Schutzvereinigungen mit einer arbeitsteiligen Organisation, die ihre Dienste hauptberuflich auf einem Rechtsschutzmarkt anbieten. Die Schutzvereinigungen würden auf dem Markt Schutzpolicen anbieten und würden so aufgrund ihrer Vorteile gegenüber den unstrukturierten Zusammenschlüssen diese verdrängen.73

Die Besonderheit des Marktes für Rechtsschutz und Sicherheit bedinge darüber hinaus eine natürliche Monopolisierungstendenz. Denn der Wert des Rechtsschutzes hängt von der Stärke der Anderen ab. Der Wert geringerer und billigerer Schutzleistungen fällt überproportional mit der Anzahl derer, die Maximalschutz erwerben. Deshalb schließen sich die Klienten der Vereinigung mit der geringeren Leistung ebenfalls der Vereinigung mit dem maximalen Schutz an. Es entwickelt sich eine vorherrschende Schutzgemeinschaft ohne verbleibende Konkurrenz.74

Auf die Art entsteht „aus der Anarchie […] durch spontane Gruppenbildungen, Vereinigungen zum gegenseitigen Schutz, Arbeitsteilung, Marktverhältnisse, ökonomische[n] Größenvorteile[n] und vernünftige[m] Eigeninteresse ein Gebilde, dass sehr stark einem Minimalstaat […] ähnelt“75. Aber diese vorherrschende Schutzgemeinschaft ist noch kein Staat. Ihr fehlt es an den unerlässlichen Eigenschaften: weder besitzt sie ein Gewaltmonopol, noch gewährleistet sie allgemeinen Rechtsschutz. Denn es gibt Außenseiter – freiwillige Ultraanarchisten und unfreiwillige, denen die Mittel zum Kauf von Policen fehlen.76

Zur Staatlichkeit

Will die Schutzvereinigung nun Staatsqualität erlangen, kann sie dies offenbar nicht, ohne den Rahmen des moralisch Zulässigen zu verlassen. Denn sie müsste die Privatjustiz der Unorganisierten verbieten und eine Umverteilung zugunsten der Mittellosen und zulasten der Begüterten vornehmen. Doch jedem steht das Recht auf Privatjustiz von Natur aus zu und es besteht nach wie vor, trotz vorherrschender Schutzgemeinschaft, eine Pluralität von gleichberechtigten Selbstjustizberechtigten: die Schutzorganisation für ihre Kunden auf der einen Seite und die Nichtmitglieder auf der anderen.77 Eine Umverteilung sei außerdem unmoralisch, verletze sie doch die moralische Nebenbedingung, die Unverletzlichkeit des Menschen keinerlei Zielen zu opfern. Das ist Ausdruck des Kantischen Grundsatzes, dass Menschen stets als Zweck des eigenen Handelns und niemals als bloßes Mittel zu erachten sind.78 Der Übergang der vorherrschenen Schutzvereinigung zum Minimalstaat scheint aufgrund dieses Dilemmas unbeschreitbar.

Den Ausweg daraus sieht Nozick in den natürlichen Rechten zweiter Ordnung. Er fügt dem Recht auf Wiedergutmachung und Bestrafung das Recht hinzu, risikoreiche Handlungen gegen Entschädigung zu verbieten und erweitert somit die Lockesche Theorie naturrechtlicher Privatjustiz. Er begründet damit die moralische Zulässigkeit des Verbots von Handlungen, die formal mit dem Recht übereinstimmen, wenn es risikoreiche, also Furcht erzeugende, Leib und Leben gefährdende Handlungen sind. Allerdings unter der Bedingung der Entschädigung für die mit dem Verbot verbundenen Nachteile. Denn „wer in Selbsthilfe, jemandem risikoreiche Handlungen verbietet, die sich auch als harmlos herausstellen können, der muss ihn für die Nachteile entschädigen.“79 Diese Überlegung wird auf die private Jurisdiktion angewendet, welche risikobehaftet sei, wenn sie sich unbekannter, unfairer oder unzuverlässiger Verfahren bediene. Das daraus abgeleitete Recht steht allerdings wiederum jedermann zu. Aufgrund ihrer Macht jedoch wird die vorherrschende Schutzvereinigung allein in der Lage sein, ihre verfahrensrechtlichen Vorstellungen und ihre Definition von Fairness durchzusetzen. Sie hat mithin kein verfahrensrechtliches Entscheidungsmonopol de jure, aber sehr wohl ein faktisches Entscheidungsmonopol.80

Das Gewaltmonopol de facto macht die Schutzvereinigng zum Ultraminimalstaat. Aber noch vermag sie nicht, allgemeinen Rechtsschutz zu gewähren, denn die Außenseiter gibt es immer noch. Allerdings ist die Schutzgesellschaft aufgrund der Verbots-Entschädigungsregel durch die Inanspruchnahme des Verbotsrechts verpflichtet, die dadurch entstehenden Nachteile zu entschädigen. Diese Entschädigungszahlung würden die Außenseiter vernünftigerweise für die Bezahlung einer Versicherungspolice und damit für den Eintritt in die Schutzorganisation verwenden, wodurch die Schutzleistung auch auf die Außenseiter ausgedehnt wird. Das geschieht nicht durch eine das apriorische Eigentumsrecht verletzende Umverteilung, sondern auf dem Wege der Erfüllung einer im naturrechtlichen Selbsthilferecht verankerten Pflicht.81

Damit ist die Transformation der Schutzvereinigung zum Minimalstaat mit Gewaltmonopol und allgemeinem Rechtsschutz abgeschlossen, ohne dass ein apriorisches Recht verletzt wurde. Mit dieser Ableitung eines gerechten Staates ist für Nozick der Anarchismus wiederlegt und der Naturzustand verlassen. Behemoth ist niedergestreckt – die unbefleckte Empfängnis des Nozickschen Minimalstaates82 ist der Totengräber der Anarchie.

4. Die Anspruchstheorie der Gerechtigkeit

In einem zweiten Schritt entwickelt Nozick eine eigene Gerechtigkeitstheorie und versucht damit die Grenzen eines gerechten Staates aufzuzeigen und so den Schlag gegen Leviathan auszuführen. Die These dieses zweiten Schrittes ist, dass jeder über den gerecht entstandenen Minimalstaat hinausgehende Staat die natürlichen Rechte der Menschen verletze und deswegen moralisch verwerflich sei.

Die Gerechtigkeit der Verteilung von Besitztümern hängt für Nozick von drei Umständen ab. Zum einen vom ursprünglichen Erwerb, also der Aneignung herrenloser Gegenstände, weiterhin der Übertragung von Besitztümern und schließlich von der Möglichkeit der Korrekur früherer Verletzungen.83 Demnach hat man einen Anspruch auf sein Besitztum, wenn man es (1) durch gerechte Aneignung erwirbt oder (2) es durch gerechte Übertragung von jemandem erwirbt, der einen Anspruch darauf hat. In einer vollkommen gerechten Welt genügen diese Grundsätze, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten. Da die Welt aber nicht vollkommen gerecht ist und sich nicht strikt an diese Grundsätze gehalten wird, bedarf es eines dritten Grundsatzes, nach dem Ungerechtigkeiten korrigiert werden. Dies sind die Tatbestände der Nozickschen Anspruchstheorie. Daraus folgt, dass die Gesamtverteilung der Besitztümer gerecht ist, wenn der Besitz jedes Einzelnen gerecht ist.84

5. Historische Theorie und Endzustandsgrundsätze

Nozick bezeichnet diese Anspruchstheorie als eine historische Theorie, weil sie die Gerechtigkeit einer Verteilung allein davon abhängen lässt, ob sie gerecht zustande gekommen ist. Dem stellt er die Endzustandsgrundsätze gegenüber, welche die Gerechtigkeit einer Verteilung davon abhängig machen, wie die Güter in einem bestimmten Zeitquerschnitt verteilt sind. Bei diesen werde nicht berücksichtigt, ob jemand seinen Anteil verdient habe. Nozick differenziert aber auch innerhalb der historischen Grundsätze zwischen anspruchsorientierten und strukturellen Grundsätzen. Strukturelle Grundsätze sind dabei solche, welche die Verteilung nach einer natürlichen Dimension vornimmt, wie dem moralischen oder gesellschaftlichen Verdienst. An diesen kritisiert Nozick, dass die Erzeugung und Verteilung von Gütern als von einander unabhängig gesehen wird. Wenn allerdings jemand mit seiner eigenen Leistung etwas herstellt, dann erwirbt er auch einen Anspruch darauf. Somit stellt sich für Nozick nicht die Frage, wer etwas Entstandenes erhalten solle.85

Nozick illustriert dies am Beispiel Wilt Chamberlains. Ausgangspunkt ist eine gerechte egalitaristische Verteilung. Chamberlain ist ein Basketballstar, der einen Vertrag abschließt, der ihn am Erlös jeder verkauften Eintrittskarte zu seinen Spielen beteiligt. Da aufgrund seines großen Talents zu jedem Spiel viele Menschen erscheinen, um ihn spielen zu sehen, erwirbt er binnen kurzer Zeit beachtlichen Wohlstand, der über das durchschnittliche gesellschaftliche Vermögen hinaus geht. Kann diese neu entstandene Verteilung ungerecht sein, wenn alle Beteiligten freiwillig Chamberlain ihr Geld gaben? „Aus welchem Grunde könnte eine solche Übertragung zwischen zwei Personen zu einem im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit berechtigten Anspruch auf einen Teil des übertragenen Gutes seitens eines Dritten führen, der vor der Übertragung keinen gerechten Anspruch auf irgendein Besitztum eines anderen hatte?“86

Kein Endzustands- und kein struktureller Grundsatz könne ohne ständigen Eingriff in das Leben der Menschen auf Dauer verwirklicht werden. Daher sei jede strukturelle Verteilung mit der Idee einer freien Gesellschaft unvereinbar. Denn jede zulässige, sprich gerechte Anfangsverteilung, würde in eine unzulässige übergehen, indem die Menschen miteinander freiwillig handeln. Wenn also die Menschen die Freiheit haben sollen, mit ihren Gütern nach Belieben zu verfahren, kann man nicht gleichzeitig eine strukturelle Güterverteilung fordern. Jede dadurch notwendig werdende Umverteilung ist zwangsläufig eine Verletzung der natürlichen Rechte der Menschen. Daher sei jede Besteuerung von Arbeitsverdiensten, die den Zweck einer Güterumverteilung verfolge, moralisch mit Zwangsarbeit gleichzusetzen.87

Obwohl damit für Nozick schon eine absolute Grenze für die Gerechtigkeit staatlichen Handelns gezogen und der Leviathan geschlagen ist, widmet er sich noch einigen Argumentationsstrukturen zur Rechtfertigung eines umverteilenden Staates.

6. Kritik an Rawls

Insbesondere eine Staatsnotwendigkeit, wie sie sich aus Rawls Theorie der Gerechtigkeit ergibt, sei nicht nachvollziehbar.

Nozick kritisiert an Rawls Theorie, welche eine strukturelle Verteilung vorsieht, zum einen, dass es keine Grundlage für eine Verteilungsgerechtigkeit der Gesamtmenge der aus gesellschaftlicher Zusammenarbeit entstandenen Güter gebe. Denn es sei keinesfalls logisch aus den Bedingungen des Rawls’schen Urzustands abzuleiten, dass sich die Menschen auf eine solche Verteilung einigten. Wenn eine Menge von isoliert arbeitenden Individuen einen Gesamtgewinn erziele, der der Summe S entspricht und sie durch Zusammenarbeit eine größere Summe T erreichen kann – warum sollte sich die Verteilung auf die Summe T beziehen? Es sei vielmehr naheliegend, dass sich die rationalen Urzustandspersonen nur auf die Verteilung der Summe T – S einigten. Jedenfalls könne sich aus der Tatsache der gesellschaftlichen Zusammenarbeit nichts an den Anspruchsgrundsätzen ändern, die in isolierten Fällen gelten.88

Denn eine Verteilung der gesamten Gütermenge komme nur in Betracht, wenn es keine einzelnen Ansprüche auf gemeinschaftlich erstellte Produkte gebe und alle einen gleich starken Anspruch auf diese hätten. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall, weswegen sich ein solches Problem der Verteilungsgerechtigkeit überhaupt nicht stelle.89

Schließlich kritisiert Nozick Rawls’ Auffassung von der Lotterie der natürlichen Fähigkeiten und den daraus abgeleiteten moralischen Unverdienst. Dieses Argument in einem positiven Sinne verstanden, enthalte eine Vermutung zugunsten der Gleichheit und mache ein Abweichen von der Gleichverteilung moralisch rechtfertigungsbedürftig. Das könne jedoch nicht für dezentrales Handeln der Individuen gelten. Wenn man beispielsweise in ein Kino gehe – müsse man dann sein Verhalten gegenüber anderen Kinoeigentümern rechtfertigen? So lange man ein Recht habe, etwas zu tun, müsse man sich dafür auch nicht rechtfertigen.90 Dieses Argument könne nur für die zentralisierte Behandlung aller Geltung beanspruchen, wie durch die Regierung, welche nicht willkürlich sein darf. „Doch in einer freien Gesellschaft geschieht die Verteilung nicht hauptsächlich durch die Regierung“91 und sie habe auch kein Recht, die einzelnen freiwilligen und gerechten Tauschakte zu korrigieren.

In einem negativen Sinne besage das Argument der Willkürlichkeit der natürlichen Lotterie, dass sie eine durch sie bedingte Verteilung nicht legitimieren könne. Dem hält Nozick entgegen, dass die Menschen ihre natürlichen Gaben zwar nicht verdient, aber dennoch einen Anspruch auf sie hätten. Und wenn die Menschen einen Anspruch auf ihre Fähigkeiten haben, dann ist auch die Verteilung, die sich aus ihnen ergibt gerecht.92 Nozick macht Rawls deswegen den gleichen Vorwurf, den Rawls den Utilitaristen macht. Denn er sehe den Menschen nicht als Individuum, wenn er die individuellen Begabungen als öffentliches Gut betrachte.93

7. Über Gleichheit, Ausbeutung und Mitbestimmung

Nozick diskutiert auch andere Argumentationsstrategien, die eine Umverteilung und einen über den Minimalstaat hinausgehenden Staat notwendig machen würden.

Ein Argument für eine Ungleichheit beseitigende Umverteilung sei die Vermeidung von Neid und mangelnder Selbstachtung der schlechter Gestellten. Neid erkläre sich aber aus dem Vergleich, durch den wir unsere eigene Leistung und die anderer bewerteten. Was würde also passieren, wenn alle für die Wertschätzung einer Person relevanten Unterschiede beseitigt würden? „Nun erinnere man sich an Trotzkis Spekulation, unter dem Kommunismus werde jeder die Höhen eines Aristoteles, Goethe oder Marx erreichen und darüber würden sich neue Gipfel erheben. Dass man sich auf diesem Niveau befindet, würde ebensowenig zu Selbstachtung und Selbstwertgefühl Anlass geben, wie heute die Beherrschung einer Sprache oder der Besitz eines Greifdaumens.“94

Auch das Marx’sche Argument der Ausbeutung sei nicht stichhaltig. Ausbeutung bestehe nach Marx darin, dass die Unternehmer sich einen Teil des Wertes des Arbeitsprodukts aneignen und deswegen der Arbeiter nicht dem Ertrag seiner Arbeit entsprechend entlohnt werde. Dies sei nur möglich aufgrund der Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln. Demnach dürfte es keine Ausbeutung geben, wenn die Arbeiter nicht gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an die Unternehmer zu verkaufen. Angesichts beachtlicher Geldreserven, über die große Teile der Arbeiterschaft und die Gewerkschaften heutzutage verfügten, könne von einem Ausgeschlossensein keine Rede mehr sein, weil sie das Geld problemlos zur Errichtung von Betrieben mit Arbeiterselbstverwaltung investieren könnten – dann allerdings auch das unternehmerische Risiko tragen müssten.95

Auch das Argument, dass die Menschen ein Recht hätten, an Entscheidungen mitzuwirken, die ihr Leben wesentlich beeinflussen, führt Nozick ad absurdum: Wenn vier Männer eine Frau heiraten wollen, beeinflusst die Entscheidung der Frau, welchen sie heiratet, das Leben aller fünf ganz wesentlich. Es ist aber einleuchtend, dass die Frau das alleinige Recht hat, die Entscheidung zu treffen und die Männer kein Mitspracherecht haben, obwohl die Entscheidung sie wesentlich betrifft. Denn wenn man von Entscheidungen absieht, an welchen mitzuwirken bestimmte Personen ein Recht haben, gibt es nach Nozick keine Entscheidungen, bei denen jemand nur deshalb ein Mitspracherecht hat, weil sie ihn betreffen.96

8. Gesamtbetrachtung

Damit hat Nozick die wesentlichen Gegenargumente gegen die historisch-anspruchsorientierten Grundsätze der Gerechtigkeit entkräftet, weshalb die Schlussfolgerung für ihn klar ist: „der Minimalstaat bleibt der weitestgehende Staat, der sich rechtfertigen lässt.“97 Der Schlag gegen Leviathan ist endgültig und tödlich; auch Behemoth ist durch die unsichtbare Hand niedergestreckt. Beide Ungeheuer sind geschlagen.

IV. James Buchanan und der ökonomistische Kontrakt

Buchanans rechtfertigungstheoretischer Kontraktualismus knüpft weder an Kants Universalismus, noch an Lockes Besitzindividualismus an. Er greift vielmehr die individualistische Vertragslehre Hobbes’ auf, indem er versucht, Rechtsordnung, Rechtsschutzstaat und Leistungsstaat durch vertragliche Einigung rationaler und realistischer Individuen herzuleiten.98

Alle Vertragstheorien sind individualistisch, denn sie führen die Anerkennungswürdigkeit normativer Prinzipien immer auf die Zustimmung der Individuen zurück. Allerdings sind vertragstheoretische Begründungen geltungslogisch von der Anerkennung der Ausgangssituation abhängig, ebenso „wie im Syllogismus die Konklusion am Tropf der Prämisse hängt“. 99 Somit schwächt jede kontrafaktische Idealisierung das kontraktualistische Argument.

Aus dieser logischen Verklammerung von Vertragssituation und Vertragsinhaltsargument wird aber auch eine radikale Version des Kontraktualismus möglich, mit der Qualität eines absoluten rechtfertigungstheoretischen Verfahrens.100 Nämlich dann, wenn der Naturzustand von allen kontrafaktischen Idealisierungen und normativen Einschränkungen freigehalten und bereinigt wird, die im Laufe der Geschichte des Kontraktualismus in ihn hineingelegt worden sind. Es wäre ein Naturzustand ohne Naturrecht, ohne Vernunftrecht, ohne Schleier des Nichtwissens und Fairnessbestimmungen – aber auch ohne intuitiven Gerechtigkeitssinn und natürliche Gleichheit.101 Dadurch scheiden die Konzeptionen Lockes und Nozicks genauso aus, wie die Rousseaus, Kants und Rawls’. Es wäre ein Ausgangszustand in Anlehnung an den Beginn der Geschichte des Kontraktualismus bei Hobbes, der völlig normativitätsfrei nur die vertragliche Einigung als absoluten und voraussetzungslosen Ursprung aller zwischen Menschen geltenden Normativität kennt.102

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, geht Buchanan sogar über Hobbes hinaus, indem er in seiner Theorie Hobbes’ empirisch nicht haltbare Voraussetzungen der natürlichen Gleichheit und der absoluten staatlichen Autorität als einzig mögliche Friedenssicherung aufgibt. Statt dessen geht er von der natürlichen Ungleichheit der Menschen aus und leitet daraus die Notwendigkeit der Beschränkung staatlicher Macht ab.103

Es bleibt nur das Individuum mit seinen wirklichen Interessen, wodurch der ökonomistische Kontraktualismus Buchanans auf die Rekonstruktion von Konsensgenesen auf der Basis subjektiver Präferenzen beschränkt wird.104 Dieser methodologische Individualismus bedingt den einmütigen Konsens, weil ein gesellschaftlicher Zustand nur dann annehmbar ist, wenn er von allen Beteiligten als gut und besser als jeder andere Zustand angesehen wird. Daraus ergibt sich auch die Höchstrangigkeit der individuellen Freiheit – allerdings nicht als apriorisches Grundrecht, sondern als Ergebnis der ontologisch-individualistischen Methode ohne normative Voraussetzung. Buchanan schafft damit einen Liberalismus ohne Metaphysik.105 Es ist die Kontraktualisierung des Naturrechts, der ihn auch von dem sich auf Locke beziehenden Nozick unterscheidet: „der im Aeternen ruhende Naturrechtssockel wird bei Buchanan kontraktualistisch verflüssigt und durch ein System privater Verabredungen ersetzt.“106

1. Von der Anarchie zum Kontrakt

Der Idealzustand, in dem die Menschen demnach am liebsten leben würden, sei eine geordnete Anarchie. In ihr respektiere jedermann von sich aus das notwendige Minimum an Verhaltensnormen und habe ansonsten völlige Freiheit. Alle Kooperationen sind rein freiwilliger Natur und es gibt keine äußere Zwangsgewalt.107

Es zeigt sich jedoch schnell, dass diese geordnete Anarchie als Utopie ein Traumgebilde ist, weil jeder potentielle Konflikt selbst in dieser idealen Welt die Anarchie als Ordnungsprinzip unannehmbar mache.108 Denn es gebe keine allgemein anerkannten Trennungslinien zwischen den individuellen Interessenssphären. Erst Eigentumsrechte garantierten die individuelle Freiheit, nach der die Individuen streben. Daher bestehe selbst für den extremen Individualisten aus rein rationalem Kalkül die Notwendigkeit des Staates als Zwangsgewalt, um die zwischenmenschlichen Beziehungen zu institutionalisieren. Dabei obliege es dem Staat aber nicht, die zwischenmenschlichen Regeln festzulegen. Dies kann im Rahmen des individualistischen Ansatzes nur der vertraglichen Einigung der Individuen anheim gestellt sein. Der Staat habe so nur die Aufgabe, die durch Übereinkunft festgelegten Rechte zu schützen, was die unbedingte Neutralität und Überparteilichkeit der staatlichen Zwangsgewalt impliziert.109

Erst wenn die individuellen Rechte definiert sind, können ökonomische Austauschbeziehungen entstehen, welche Buchanan aufgrund ihrer Freiwilligkeit als größtmögliche Annäherung an das anarchische Ideal erachtet. Daher seien Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit die Grundlagen einer sozialen Ordnung in Orientierung an der geordneten Anarchie unter der Bedingung knapper Ressourcen. Damit ist das Ziel klar.110

Um dies vom Ausgangspunkt der Anarchie erreichen zu können, stellt sich die Frage, wie es zu einer Einigung über Regeln kommt.

Buchanan geht dabei von den negativen externen Effekten aus, die jeder Gebrauch eines knappen Gutes hervorbringe.111 Ausgangspunkt ist das einfache Modell einer anarchischen Zwei-Personen-Welt. Jeder Gebrauch des knappen Gutes x durch A hat notwendig nachteilige Konsequenzen für B, und andersherum. Daher habe jeder den Anreiz, einen möglichst großen Anteil von x zu erlangen. Wenn dann die Individuen Güter für den künftigen Konsum lagern, sei jede Person durch die Anwesenheit der anderen dazu genötigt, Anstrengungen zu erbringen, um ihren Vorrat gegen den Zugiff des anderen zu sichern, wodurch die Produktivität jedes Individuums eingeschränkt werde. Aber aus dieser Situation könnten sich auch Vorteile ergeben: wenn B Güter lagert, kann es für A vorteilig sein, B diese Güter wegzunehmen, statt selbst welche zu produzieren. Der Erfolg der beiden hänge dabei jeweils von ihren natürlicherweise ungleichen Fähigkeiten und Eigenschaften, wie physischer Kraft und Intelligenz ab. Ein solcher Konflikt, durch den Einsatz von Bemühungen um die Eroberung und Verteidigung von Konsumanteilen an x, führe schließlich zu einer dem Kräfteverhältis entsprechenden natürlichen Verteilung.112

Dieser Zustand stellt ein Gleichgewicht dar, bei dem sich der Grenznutzen des zusätzlichen Aufwandes und die erforderlichen Grenzkosten die Waage halten. Er ist auch der Ausgangspunkt für vertragliche Vereinbarungen, denn „sowohl A als auch B [werden] aufgrund rationaler Überlegung erkennen, dass ein großer Teil ihrer Aufwendungen für die Sicherung und Verteidigung ihres Besitzstandes verschwenderisch ist.“113 Beide Parteien können sich besser stellen, indem sie sich auf gegenseitige Verhaltensbeschränkungen einigen und so wechselseitig ihre Rechte anerkennen. Aufgrund der vielfältigen Unterschiede der Menschen, kommt es aber auch zu erheblichen Ungleichheiten in den vertraglich vereinbarten Besitzverhältnissen. Daher räumt Buchanan ein, dass die Herstellung eines vertraglichen Zustands für einige auch Sklaverei und dauernde Unterdrückung bedeuten kann.114

Aber auch eine solche vertragliche Ordnung hat eine gewisse Instabilität, weil es für die Beteiligten vorteilhaft sein kann, den Vertrag zu verletzen. In dem bisher verwendeten Zwei-Personen-Modell ist dies jedoch nicht weiter problematisch, weil eine Vertragsverletzung automatisch die Aufkündigung nach sich zieht.

Etwas anderes ergibt sich jedoch, wenn man die Einschränkungen lockert und von vielen knappen Gütern und der Interaktion vieler Personen ausgeht. Auch hierbei bildet die natürliche Verteilung die Grundlage für die wechselseitige Anerkennung von Rechten. Der Prozess der vertraglichen Einigung findet dabei in zwei Stufen statt. Auf der ersten kommen die Beteiligten über ihre gegenseitigen Rechte und eine bestimmte Anfangsausstattung an knappen Gütern überein, um ihren verschwenderischen Aufwand für Verteidigung und Angriff zu reduzieren. Diese Übereinkunft ist der konstitutionelle Kontrakt. Auf einer zweiten Stufe finden weitere vertragliche Transaktionen statt, die den Austausch privater Güter oder die Bereitstellung öffentlicher Güter betreffen: der postkonstitutionelle Kontrakt.115

2. Der konstitutionelle Kontrakt

Die erste vertragliche Einigung auf der Grundlage der natürlichen Verteilung betrifft die wechselseitige Bereitschaft zur Entwaffnung aller Beteiligten. Auch wenn ein solches Entwaffnungsabkommen noch keine Eigentumsrechte beinhaltet, definieren die Beteiligten damit doch gewisse Grenzen ihrer Handlungsfreiheit. Damit ist „der erste Schritt aus dem Dschungel der Anarchie geschafft.“116

Da realistischer Weise nicht davon ausgegangen werden kann, dass die im konstitutionellen Kontrakt festgelegten Rechte von allen freiwillig eingehalten werden, stellt sich die Frage der zwangsweisen Durchsetzung. Denn in einer Situation mit vielen Beteiligten können einseitige Vertragsverletzungen durchaus nutzbringend sein. Aus diesem Grund werden die Beteiligten eine Regelung über eine Zwangsinstitution staatlicher Gewalt zur Sicherung ihrer Ansprüche, notfalls auch gegen den Widerstand einzelner Beteiligter, treffen. Daher müsse die staatliche Zwangsinstitution den Beteiligten als eine unparteiliche und externe Instanz gegenüberstehen. Daraus ergibt sich ein kategorialer Unterschied zwischen der Erzwingung der festgelegten Rechte und ihrer vertraglichen Festlegung im konstitutionellen Kontrakt. Die Rechtsordnung resultiert aus der Übereinkunft aller Parteien im konstitutionellen Stadium, ist mithin privat. Der Staat steht nur für ihre Geltung ein.117

3. Der postkonstitutionelle Kontrakt

Nachdem die individuellen Rechte der Beteiligten durch den konstitutionellen Kontrakt festgelegt sind, bestehen zwei Möglichkeiten für die Individuen, ihre Situation weiter zu verbessern: durch Austausch privater Güter aufgrund zweiseitiger Transaktion und durch Bereitstellung öffentlicher Güter aufgrund von Viel-Parteien-Übereinkünften.118

Der maßgebliche Unterschied der beiden Varianten zeigt sich am Konformitätsparasitismus119 des Free-Rider-Problems. Gemeint ist der Versuch, sich die Vorteile eines hergestellten Guts anzueignen, ohne sich an den Kosten der Bereitstellung zu beteiligen. Während der Austausch privater Güter von der einmütigen Zustimmung beider beteiligten Personen abhänge, verhalte es sich bei Gütern, deren Bereitstellung die Beteiligung aller Gesellschaftsmitglieder erfordere – weil das Gut unteilbar oder mit erheblichen externen Efekten verbunden ist, etc. – anders. Denn dann erfordere die Bedingung der Einmütigkeit die Einstimmigkeit aller bei der Bereitstellung öffentlicher Güter. Das verdeutliche, dass ein genuiner Sozialvertrag geschlossen werden müsse, wenn öffentliche Güter zum Vorteil aller auf effiziente Weise bereitgestellt werden sollen. Denn die Einstimmigkeit gewährleiste, dass kein Individuum durch die kollektive Entscheidung in seinen Rechten verletzt wird.120

Allerdings sind damit Probleme verbunden, die das Abweichen vom Einstimmigkeitserfordernis notwendig machen. Denn Einzelne könnten höhere Gewinne erzielen, wenn sie sich an den Kosten nicht beteiligen oder sogar versuchen, sich ihre Bereitschaft zur Kooperation abkaufen zu lassen. Zu diesem Zweck betrachtet Buchanan zwei Arten nichteinstimmiger kollektiver Willensbildung: eingeschränkte und uneingeschränkte Mehrheitsentscheidungen. Während die eingeschränkte Willensbildung durch die konstitutionellen Regelungen begrenzt ist und deswegen die gleichen Resultate wie die Einstimmigkeitsregel bewirke – nur ohne die enormen Verhandlungskosten – kennt die uneingeschränkte Alternative keine konstitutionellen Grenzen.121

Durch eine solche uneingeschränkte Entscheidung, sei das Kollektiv allerdings in der Lage, Mehrheitsentscheidungen zu treffen, die in Konflikt mit den einmütig vereinbarten konstitutionellen Rechten geraten und diese so im postkonstitutionellen Stadium aufheben. Um dies zu vermeiden, sei es notwendig, die Entscheidungsbefugnisse des Kollektivs und ihre Grenzen im konstitutionellen Kontrakt festzulegen.122

Aus dieser Erkenntnis ergibt sich ein umfassender konstitutioneller Kontrakt, der aus verschiedenen Bestandteilen besteht. Zum einen enthält er eine Begrenzung des menschlichen Verhaltens gegenüber anderen Mitgliedern der Gemeinschaft, welche dem ersten Entwaffnungsvertrag entspricht. Außerdem eine Definition der positiven Besitz- und Verfügungsrechte. Schließlich die Bedingungen und die Art der Ausübung von Zwangsgewalt, wodurch die Grenzen des protektiven Staates gezogen werden, sowie die Regeln, unter denen kollektive Entscheidungen über die Bereitstellung und Finanzierung öffentlicher Güter getroffen werden. Sie bestimmen die Grenzen des produktiven Staates.123

Die kategoriale Unterscheidung zwischen der konstitutionellen und der postkonstitutionellen Stufe des Sozialkontrakts verdeutlicht die Unterscheidung zweier grundsätzlich verschiedener Funktionen des Staates, die strikt zu trennen seien. Zum einen sei der Staat eine Zwangsinstitution, die aus dem konstitutionellen Kontrakt hervorgeht. In dieser Rolle stehe der Staat den Vertragsparteien gänzlich extern gegenüber und habe die ausschließliche Aufgabe, die vereinbarten Rechte zu schützen. Es sei ein protektiver Staat, der keine kollektive Entscheidungsbefugnis hat. Zum anderen sei der Staat eine Institution, die aufgrund kollektiver Entscheidungen im postkonstitutionellen Stadium öffentliche Güter bereitstelle, wodurch er zum produktiven Staat werde.124

4. Die Demokratie als ihr eigener Leviathan

Dass auch einem solchen System Instabilitäten innewohnen zeigt Buchanan, wenn er von der Gefahr des Leviathans in den modernen Wohlfahrtsdemokratien spricht. Denn es bestehe die Gefahr, dass der Staat zu einem Leviathan werde, zum Selbstzweck und der autonome Mensch sich einem kollektivistischen Willen unterwerfen müsse. „Der heutige Mensch kann sich nicht mehr in die Rolle eines Opponenten zu einer Regierung versetzen, die von einer externen Elite besetzt und gelenkt wird[…]. Für amerikanische Patrioten gab es einen George III. Ein Mitglied des französischen dritten Standes hatte sein Ancien Régime. Für die Anhänger Lenins gab es die russische Aristokratie. Der moderne Mensch, eingesponnen in das Netz der Bürokratie, tritt nur sich selbst oder anderen Vertretern seiner Art gegenüber.“125

Daraus folge gerade nicht, dass die modernen Demokratien vollkommen seien; die zentralen Probleme bestünden vielmehr weiterhin unvermindert. Denn der Prozess staatlicher Herrschaftsausübung offenbare das Paradoxon, regiert zu werden: ein permanent wachsendes Widerstreben gegen den Staat gehe Hand in Hand mit einer fortschreitenden Expansion staatlicher Herrschaft.126

Die Gefahr eines unkontrollierten Überhandnehmens des Staates, seines Anwachsens zu einem Leviathan, sei gerade in der modernen Demokratie angelegt, aufgrund der fehlenden Opposition von Herrscher und Beherrschtem. Sie tendiere zu einem ausufernden, unpersönlichen bürokratischen Netzwerk, dass die Menschen ihrer ursprünglichen Freiheit beraube. Denn der Prozess kollektiven Entscheidens – insbesondere unter Zugrundelegung des Mehrheitsprinzips – führe zur Ineffizienz der Gesamtheit der kollektiven Projekte, selbst dann, wenn man kontrafaktisch annehme, dass jedes einzelne Projekt dem Effizienzkriterium genüge. Denn es entstehen nicht nur die unmittelbaren Kosten der Realisierung, sondern auch soziale Kosten. Durch die Kosten der öffentlichen Vorhaben steigt das Budgetvolumen und die Steuerlast, wodurch der Anreiz, Einkommen und Vermögen zu erwerben reduziert wird, was wiederum bei der Haushaltsaufstellung kaum einbezogen werden könne.127

Der Prozess kollektiven Entscheidens in der repräsentativen Demokratie werde noch problematischer, wenn man den Einfluss der Politiker und Beamten bedenke, da die Entscheidungen über öffentliche Güter nicht unmittelbar von den Wählern, sondern eben von Politikern und Beamten getroffen werden. Auch diese hätten gewisse persönliche Interessen am Umfang des öffentlichen Sektors. Budgetentscheidungen spiegelten mithin keinesfalls nur die Präferenzen der Wähler wieder, sondern reflektierten vor allem auch die persönlichen Präferenzen der Politiker und Beamten. Jeder Politiker versuche im Rahmen seines Handlungsspielraums, sein politisches Einkommen zu erhöhen, also Einfluss und Prestige oder die Durchsetzungschance gewisser ideologischer Ziele zu steigern. Das abstrakte Ergebnis ist dabei für alle dasselbe: die Vergrößerung des öffentlichen Sektors, um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können. Aufgrund dessen, dass die Zahl der Politiker und Beamten mit der Ausweitung des öffentlichen Haushalts steigt, werde auch die Ineffizienz immer umfassender. Denn da die Beamten selbst Wähler sind und die Bürokratie vielerlei Gewinnerzielungsmöglichkeiten bietet, lasse sich annehmen, dass die Budgets um so mehr zur Überexpansion tendieren, je größer der Anteil der Beamten an der gesamten Wählerschaft ist.128

Angesichts all dieser Faktoren, die allesamt eine sich selbst verstärkende Tendenz zur Ausweitung des öffentlichen Sektors bedingen, sei eine dynamische Expansion staatlicher Machtausübung selbst unter günstigen Bedinungen nicht zu verhindern. Die Demokratie drohe zu ihrem eigenen Leviathan zu werden, wenn nicht die konstitutionellen Grenzen demokratischer Mehrheitsentscheidungen strikt eingehalten würden. Insbesondere dürfe die Mehrheitsdemokratie des produktiven Staates nicht auf den Bereich des protektiven Staates übergreifen, um die Grundstruktur individueller Recchte zu ändern. Aber auch der protektive Staat müsse auf seine Aufgabe beschränkt bleiben, als ein unparteiischer Schiedsrichter die Durchsetzung des konstitutionellen Kontrakts zu gewährleisten und dürfe keine Entscheidung über öffentliche Güter treffen.129

5. Gesamtbetrachtung

Für Buchanan ist das Verlassen der Anarchie aus Sicht rationaler Individuen also notwendig und unausweichlich. Mit dem auf der natürlichen Verteilung beruhenden Entwaffnungsvertrag und dem konstitutionellen Kontrakt ist Behemoth unschädlich gemacht. Sobald und solange aber ein Staat besteht, ist die Gefahr des Leviathan nie endgültig zu bannen. Es ist ein Kampf, der unablässlich geführt werden muss und darin besteht, die Aufgaben und Funktionen des protektiven und des produktiven Staates strikt zu trennen. Nur so können die Freiheitsrechte der Individuen gewahrt werden.

  1. Schlussbetrachtungen: Die New Contractarians zwischen Behemoth und Leviathan

Es hat sich also die – teilweise diametrale – Gegensätzlichkeit der liberalen Gesellschaftsvertragskonzeptionen gezeigt. Allen gemeinsam ist die Ablehnung eines anarchischen, also herrschaftsfrei ungeordneten Zustands.

Aus Rawls Grundsätzen der Gerechtigkeit als Fairness ergibt sich zum einen durch das Differenzprinzip die Notwendigkeit von Institutionen, die durch eine Umverteilung die Ungleichheiten kompensieren, die nicht jedermann zum Vorteil gereichen. Aus dem Prinzip der fairen Chancengleichheit folgt die Aufgabe, jene Voraussetzungen zu schaffen, die allen Menschen mit gleichen Fähigkeiten und gleicher Leistungsbereitschaft die tatsächlich gleichen Erfolgsaussichten ermöglichen. Dies sind die Funktionen, die Rawls einer übergeordneten Instanz zuschreibt, sofern sie gerecht sein soll. Begrenzt wird eine solche Instanz, also der Staat, dabei durch den unbedingten lexikalischen Vorrang der individuellen Freiheitsrechte, wodurch die Entstehung eines absolutistischen Staates von den Ausmaßen eines Leviathan, der die Individuen ihrer Rechte beraubt, verhindert werden soll.

Nozick hingegen geht die Begrenzung der staatlichen Macht nicht weit genug. Er führt den ersten Schlag gegen Behemoth mit deutlich größerem Aufwand, indem er zeigt, wie ein Staat aus einer Anarchie über private Schutzvereinigungen und Ultraminimalstaat schließlich als Minimalstaat entstünde, ohne eine einzige kollektiv-intentionale Handlung. Diese Koordination mittels der unsichtbaren Hand ist dabei nur deswegen legitim, weil sie kein einziges apriorisches Recht verletzt und jeder einzelne Teilschritt zur Staatsentstehung auf einem freiwilligen rationalen Entschluss jedes Individuums beruht. Eine Verteilungsgerechtigkeit im Sinne Rawls sieht er aber als eklatante Verletzung der natürlichen Rechte der Menschen, weshalb diese bereits an sich einem Leviathan gleiche. Den tödlichen Stoß gegen diesen Leviathan führt er mit seiner zu Rawls Theorie der Gerechtigkeit oppositionellen Anspruchstheorie, wonach jeder Mensch einen Anspruch auf seine natürlichen Fähigkeiten und damit auch auf die aus ihnen hervorgehende Güterverteilung habe, sofern die einzelnen Erwerbsakte gerecht sind. Dies sicherzustellen ist die Aufgabe des minimalen Rechtsschutzstaates, welcher gleichzeitig das weitestgehende zu rechtfertigende Ausmaß von Staatlichkeit sei. Damit führt er den von allen entschiedensten Schlag zur Enthauptung Leviathans.

Die Ablehnung der Anarchie teilt auch Buchanan. Für ihn erkenne selbst der extremste Individualist die Notwendigkeit eines Staates. Allerdings zunächst nur als externe und völlig neutrale Schiedsgewalt zur Sicherung der Eigentumsrechte auf Grundlage der natürlichen Verteilung. Im Gegensatz zu Nozick erkennt Buchanan aber auch an, dass die öffentliche Verteilung gewisser Güter für alle vorteilhaft sein kann, was dem protektiven Staat einen produktiven zur Seite stellt. Die Gefahr des die individuellen Freiheiten erstickenden Leviathan – gerade in den modernen Wohlfahrtsdemokratien – könne jedoch nicht gebannt, sondern nur in einem ständigen Kampf im Zaum gehalten werden, wenn produkive und protektive Funktionen und Kompetenzen strikt getrennt werden. Durch die Bedingung der Übereinstimmung demokratischer Entscheidungen über die Bereitstellung öffentlicher Güter mit dem konstitutionellen Kontrakt, offenbart sich die mit Nozick gemeinsame Überzeugung, dass jede nichteinmütige kollektive Entscheidung, die individuelle Freiheiten einschränkt, einem Bruch konstitutionell verbürgten – bei Nozick naturrechtlich verbürgten – Rechts gleich kommt.130

Es ist dies, was die libertären Konzeptionen Nozicks und Buchanans charakterisiert: das Wiederbeleben des uneingeschränkten Eigentumsrechts des klassischen Liberalismus. Sie garantieren maximale Freiheit und formale Gleichheit und folgen dem Kantischen Grundsatz, seine Mitmenschen immer als Zweck und niemals als bloßes Mittel zu betrachten. Im Gegensatz dazu sind es Rawls’ egalitär-liberale Gerechtigkeitsprinzipien, die in besonderem Maße der Brüderlichkeit Rechnung tragen und damit die Solidarprinzipien der Familie auf die gesamte Gesellschaft ausweiten, um so durch tatsächliche Chancengleichheit Freiheit zu erlangen.

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1Vgl. Hiob, 40 f.

2Vgl. Schmitt, Der Leviathan, S. 9.

3Vgl. Fetscher, Einleitung zu „Hobbes – Leviathan“, S. XL.

4Vgl. Schmitt, Der Leviathan, S. 16 – 18.

5Vgl. Hobbes, Behemoth; Fetscher, Einleitung zu „Hobbes – Leviathan“, S. XL f.

6Nietzsche, S. 42.

7Nozick, S. 32.

8Vgl. Voigt, Leviathan und Behemoth, S. 2.

9Die Bezeichnung ist dem gleichnamigen Aufsatz Scott Gordons entnommen.

10In Anlehnung an Humboldts Titel: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“.

11Vgl. Humboldt, S. 13.

12Hobbes, De Corpore, S. 5.

13Vgl. Dahl, S. 3; Kersting, Politik und Recht, S. 17.

14Vgl. Kersting, Politik und Recht, S. 17 f.

15Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 259.

16Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 260 f.; Politik und Recht, S. 19 – 23.

17Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 261.

18Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 262.

19Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 263.

20Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 263.

21Vgl. Höffe, Ethik, S. 20; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 264.

22Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 294.

23Vgl. Kersting, Politik und Recht, S. 28.

24Vgl. Kersting, Politik und Recht, S. 30.

25Vgl. Hoffmann-Negulescu, S. 18; Koller, S. 24 ff., 36.

26Vgl. Rousseau, S. 27; Koller, S. 25.

27Vgl. Kant, S. 29; Koller, S. 26.

28Vgl. Kant, S. 21; Koller, S. 27 f.

29Vgl. Koller, S. 28.

30Vgl. Koller, S. 28.

31Vgl. Hoffmann-Negulescu, S. 54 f.; Koller, S. 29.

32Vgl. Rawls, S. 29.

33Rawls, S. 28.

34Rawls, S. 28.

35Rawls, S. 28 f.

36Rawls, S. 159.

37Rawls, S. 29, 159 ff.

38Rawls, S. 159 f.

39Vgl. Koller, S 38 – 41.

40Vgl. Rawls, S. 163.

41Vgl. Rawls, S. 167; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 271.

42Vgl. Rawls, S. 111 – 115.

43Rawls, S, 112.

44Vgl. Rawls, S. 113.

45Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 272 f.

46Rawls, S. 158.

47Rawls, S. 158 f.

48Vgl. Rawls, S. 81, 148 ff. Kley, S. 5 f., 32; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 275.

49Vgl. Rawls, S. 82.

50Rawls, S. 83.

51Vgl. Rawls, S. 82; Höffe, in: Höffe, S. 16 f.; Kersting, Ges.vertr. S. 275; Koller, S. 42 f.

52Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 275.

53Rawls, S. 81.

54Vgl. Rawls, S. 82; Hart, in: Höffe, S. 135; Kley, S. 33; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 275; Koller, S. 44.

55Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 276.

56Vgl. Hart, in: Höffe, S. 143 f.

57Vgl. Rawls, S. 96; Kley, S. 57 f.; Koller, S. 45

58Vgl. Rawls, S. 93 f., 105 – 110.

59Rawls, S. 95.

60Vgl. Rawls, S. 93 f.; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 278 f.; Koller, S. 45 – 48.

61Vgl. Rawls, S. 127; Koller, S. 51.

62Vgl. Hegel, S. 394.

63Nozick, S. 30.

64Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 294.

65Nozick, S. 25.

66Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 296.

67Vgl. Kley, S. 82.

68Vgl. Locke, S. 201 ff.; Kley, S. 85 f.; Kersting S. 295 f.; Koller, S. 135 f.

69Vgl. Locke, S. 281.

70Vgl. Nozick, S. 32 f.; Kley, S. 94 f.

71Vgl. Nozick, S. 33; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 298.

72Vgl. Hoffmann-Negulescu, S. 86 f.; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 299.

73Vgl. Nozick, S. 35 f.; Kley, S. 95, Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 299.

74Vgl. Nozick, S. 40 f.; HoffmannNegulescu, S. 89 f.; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 300.

75Nozick, S. 40.

76Vgl. Nozick, S. 89 ff.

77Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 301.

78Vgl. Nozick, S. 55 ff., 86; Kley, S. 100 ff.; Koller, S. 139 f.

79Nozick, S. 169.

80Vgl. Kley, S. 97 f.; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 304.

81Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 305 f.

82Vgl. Rothbard, S. 230.

83Vgl. Nozick, S. 220 f. Hoffmann-Negulescu, S. 101 f.; Kley, S. 107; Koller, S. 142.

84Vgl. Nozick, S. 219; HoffmannNegulescu, S. 102; Kley, S. 107; Koller, S. 143.

85Vgl. Nozick, 231; Kley, S. 113.

86Nozick, S. 233.

87Vgl. Nozick, S. 243.

88Vgl. Koller, S. 149.

89Vgl. Kley, S. 113; Koller, S. 150.

90Vgl. Nozick, S. 316.

91Nozick, S. 316.

92Vgl. Nozick, S. 320; Koller, S. 152 f.

93Vgl. Nozick, 323; Kley, S. 114.

94Nozick, S. 341.

95Vgl. Nozick, 356 f.; Koller, S. 155.

96Vgl. Nozick, S. 378 f.;Koller, S. 156.

97Nozick, S. 384.

98Vgl. HoffmannNegulescu, S. 18; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 321 f.

99Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 322.

100Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 322.

101Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 323.

102Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 323.

103Vgl. HoffmannNegelescu, S. 63; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 323 f.

104Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 324.

105Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 330.

106Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 337.

107Vgl. Buchanan, S. 3 f.

108Vgl. Buchanan, S. 4.

109Vgl. Koller S. 190.

110Vgl. Koller, S. 191.

111Vgl. Buchanan, S. 33 f.; HoffmannNegulescu, S. 64; Kley, S. 129 f.

112Vgl. Buchanan, S. 33 f.; HoffmannNegulescu, S. 64; Kley, S. 129 f.

113Buchanan, S. 34.

114Vgl. Buchanan, S. 85 f.

115Vgl. Koller, S. 193.

116Buchanan, S. 85.

117Vgl. Buchanan, S. 97 f.; Kley, S. 133; Koller, S. 199.

118Vgl. Buchanan, S. 50 ff.; Kley, S. 131 f.; Koller, S. 200.

119Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 335.

120Vgl. Buchanan, S. 55.

121Vgl. Buchanan, S. 64 – 75; Koller, S. 202.

122Vgl. Buchanan, S. 101; Koller, S. 202 f.

123Vgl. Kley, S. 135 f.; Koller, S. 205 f.

124Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 337 f.

125Buchanan, S. 211.

126Vgl. Koller, S. 211.

127Vgl. Buchanan, S. 217 f.; Koller, S. 214 f.

128Vgl. Buchanan, S. 222 – 229.

129Vgl. Buchanan, S. S. 233 f.

130Vgl. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 339.