Die Freiheit, die ich meine
Die Freiheit, die ich meine

Die Freiheit, die ich meine

Freiheit und Revolution wäre in meiner Wahrnehmung ein passender Titel für den Essay von Hannah Arendt. Die politische Theoretikerin denkt eigentümlich frei, gleichsam „ohne Geländer“, darüber nach, was Freiheit beinhalten sollte. Ihre historische Spurensuche nach dem Inhalt von Freiheit ist gekoppelt an Gedanken über Revolutionen, insbesondere die amerikanische und französische Ende des 18. Jahrhunderts, deren eigentliches Ziel für sie Freiheit als Teil eines Neuanfangs ist.

Der rund 33 Seiten umfassende Text, der zwischen 1963 und 1967 entstanden ist, wirkt wie eine Kollage aus ihrem Buch „Über die Revolution“, das 1963 auf Englisch und 1965 in deutscher Fassung erschien. Der Essay, bei dem es sich auch um einen Vortrag(sentwurf) handeln könnte, wurde erstmals auf Deutsch publiziert, übersetzt vom Lektor Andreas Wirthensohn und mit einem Nachwort des an der LMU München lehrenden Wissenschaftlers Thomas Meyer versehen. Manche Argumentation Arendts wirkt verkürzt oder voraussetzungsreich, ohne einen erhellenden Hinweis zu enthalten.

Die nachfolgenden Anmerkungen werden sich weniger mit dem Freiheitsbegriff befassen. Das hat Rick Wendler ausführlich getan. Viel mehr geht es darum, was der Text mir heute zu sagen hat. Maßstab ist dabei nicht, ob die Gedanken einen konsistenten Teil im Denkgebäude von Hannah Arendt bilden.

Vorweggeschickt sei, dass Hannah Arendt eine eigentümliche Mischung aus Philosophie und Begriffsbestimmung, politischer Theorie und Publizistik zu einer eigenständigen Position verbindet.

Mir gefällt das, weil die Resonanz andeutet, dass es Raum und Interesse für nicht-konformistische Überlegungen im Mainstream gibt, wenn auch regelmäßig ohne berufliche Stellung. Allerdings erscheinen mir viele Überlegungen in dem Text „Die Freiheit, frei zu sein“ nicht hinreichend begründet und belegt zu sein, darunter, dass

  • keine Revolution von der Masse und den Geknechteten begonnen worden sein soll,
  • die Macht in Revolutionen nicht übernommen, sondern von der Straße aufgelesen worden sein soll und
  • es einen Sinn von Revolution gebe, der noch dazu darin bestünde, frei zu sein für einen Neuanfang.

Insgesamt sind mir die Überlegungen zu theoretisch und mangels Geländer gilt hier nicht, dass das Praktischste, was es gibt, eine gute Theorie ist.

Überzeugender finde ich: „Eine Restauration, Folge einer unterbrochenen Revolution, sorgt in der Regel für wenig mehr als einen dünnen und sichtlich provisorischen Deckmantel, unter dem die Auflösungsprozesse ungehindert weitergehen.“ Damit ist der Kampf zwischen dem angeschlagenen alten Regime und den es herausfordernden neuen Kräften benannt.

Voraussetzung dafür, dass die Revolution nur unterbrochen wird, ist einerseits das Erzeugen von ausreichend Triebkraft für die Umwälzung und andererseits eine relative Schwäche des überkommenen Systems. Dem gelingt es weder, die Neuerungen zu inkorporieren noch ihnen ein Ende zu bereiten. Historische Empirie dürfte dafür ausreichend vorhanden sein, etwa die napoleonischen Befreiungskriege und der Wiener Kongress, ferner die deutsche Freiheitsrevolution von 1848 und die preußische Reichsgründung von oben, oder die Revolten hinter dem Eisernen Vorhang 1953 und 1968 bis zum Fall der Mauer, aber auch der Arabische Frühling und seine Nachwehen bis heute, zumindest in einigen Ländern. In dieser Perspektive sind Restaurationen der langfristig unzureichende Versuch, die Zahnpasta wieder in die Tube zu drücken. Allerdings finden sich auch andere Beispiele: Die Nationalsozialisten mussten von außen besiegt werden. In China wird aktuell ein totalitäres Staatswesen ausgebaut. In der Türkei und in Russland wurden die Uhren zurückgedreht. Autoritarismus ist heute zumindest teilweise en vogue. Zudem bleibt die Zeit ein problematischer Aspekt: Wann besteht noch ein zeitlicher Zusammenhang zu den ursprünglich wirksamen Trends – binnen einer oder mehrerer Generationen? Schließlich gilt: Everything must end.

Bedenkenswert finde ich die von Hannah Arendt entwickelte Dreiförmigkeit des Freiheitsbegriffs. Verkürzt ließe sich sprechen von: Freiheit von Not – Freiheit von Furcht – Leidenschaft für öffentliche Freiheit. Damit bezeichnet sie die Exklusivität von Freiheit in der Menschheitsgeschichte, die wenigen Privilegierten offenstand. Tatsächlich ist Freiheit etwas, das vor allem in der griechischen, aber auch in der römischen Antike nur einem Teil der Bevölkerung zukam, den Bürgern, und auch ihnen nur in beschränktem Maße. Das Mittelalter bot mit seinem Lehnswesen nur einer Minderheit der Menschen in Städten Freiheit, beispielhaft in Hanse-Städten. Erst Aufklärung, Kapitalismus und moderne Republiken verankern Freiheit durch die Herrschaft des Rechts, das an die Stelle der Herrschaft von Menschen tritt, wenn auch bislang unvollendet.

Damit sind wir bei einer komplexen Freiheitsherausforderung angelangt. Hannah Arendt zeigt in der Begriffsgeschichte der Freiheit gleichsam drei Stufen auf. Am Beginn steht die Freiheit des Rechtsstaats oder die negative Freiheit. Es folgt die politische Freiheit oder die öffentliche Freiheit. Schließlich sieht sie die Freiheit von Not als soziale oder materielle Freiheit für erforderlich an. Die letzten beiden lassen sich als positive Freiheit begreifen. Alle zusammen sind für Arendt erforderlich. Nur so entsteht die Freiheit, frei zu sein – zu wollen und zu können. Wobei die politische Freiheit gleichsam die Krönung darstellt.

Klassische Liberale sind bekanntlich skeptisch, wenn sie diese Ausweitung des Freiheitsbegriffs nicht rundweg ablehnen. Die Begründung liegt auf der Hand. Die positiven Freiheiten tragen zugleich antifreiheitliche Dynamiken in sich. So bedarf die politische Freiheit der Einhegung durch die Herrschaft des Rechts, sonst schränkt der Primat der Politik die Freiheit zugunsten von Interessengruppen ein – alles wird zu einer Frage der Mehrheit: Moral, Moneten, Meinung – you name it. Das ist der Status quo heute, bis zum Zensurgesetz. Und materielle Freiheit besteht neben dem Geben vor allem aus Nehmen. Auch hier findet eine Wählerbewirtschaftung und damit nur allzu rasch eine Ausbeutung der einen durch die anderen statt. Die KoKo, die Korrupte Koalition, lässt grüßen.

Eine ideale Lösung gibt es dafür vorerst nur in der Theorie. Das liegt an dynamischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Die von Hannah Arendt gern ins Feld geführten Räte sind eine revolutionär-politische Institution, Genossenschaften hingegen eine erfolgreiche privatwirtschaftliche und eher unpolitische. Es spricht viel für die Begrenzung des Politischen, der res publica, auf eine minimale Zuständigkeit bei gleichzeitig maximaler Ausweitung der privaten Selbstbestimmung. Das geht mit Non-Zentralismus und einem politischen Aufbau von unten nach oben einher. Ein erreichbares Ideal gibt es nicht, nur ideale Leitgedanken wie die Freiheit von Gleichen, die Arendt in Anlehnung an die antike Isonomie hoch hält.

Ein letzter Punkt: Hannah Arendt vertritt die Ansicht, dass „Revolutionen die Folge von Regimen sind, die sich in völliger Auflösung befinden, und nicht das ‚Produkt’ von Revolutionären“. Hier stellt sich die Frage, woraus die Auflösung resultiert. Das überkommene Regime verliert die Legitimation, die Fähigkeit für hinreichende Wohlstandsperspektiven zu sorgen und schließlich die Fähigkeit zur Repression. Dieser Auflösungsprozess lässt sich noch als strukturell kennzeichnen und auf einer Makroebene abhandeln. Die Revolution selbst, also der abrupte strukturelle Wandel des politischen Systems, kommt indes nicht ohne Revolutionäre aus. Und regelmäßig sind es politisch organisierte Gruppen, die den Transformationsprozess kapern und die protestierenden Gruppen in eine neue Herrschaft zwingen. Das gilt für die Französische Revolution ebenso wie für die revolutionären Umbrüche im Zuge des Arabischen Frühlings. Auch die Dissidenten der DDR haben über den Umbruchprozess hinaus kaum noch eine politische Rolle gespielt.

Ja, das Thema ist tatsächlich „fast schon beschämend aktuell“ wie es auf dem Buchrücken mit einem Zitat von Hannah Arendt heißt. Das liegt an der Freiheit, die eine zeitlose Herausforderung darstellt, und an Revolutionen, die immer wieder Überkommenes hinwegfegen.
Litertaur: Hannah Arendt: Die Freiheit, frei zu sein, dtv, München2018, 64 S., 8 Euro.