Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht
Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht

Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht

Download des Working Papers: hier.

Ein Grundriss von Helmut Krebs und Michael von Prollius

Eine eingehende Untersuchung der Legitimität von staatlicher Tätigkeit und Staatsausgaben wurde von Michael von Prollius vorgelegt (link). Es ist das Schlusskapitel des Buches „Klassischer Liberalismus“ (von Helmut Krebs), das auch im Forum Freie Gesellschaft veröffentlicht wurde. Die Analyse, die wir hier gemeinsam vorlegen, widmet sich derselben Fragestellung aus einem etwas anderen Blickwinkel. Wir versuchen mit einem groben Raster eine Ordnung der schier unüberschaubaren staatlichen Tätigkeitsbereiche nach dem Gesichtspunkt ihrer rechtlichen Legitimität herzustellen, damit die Beurteilung in konkreten Einzelfällen auf dem Wege der kategorialen Zuordnung leichter fällt. Nachfolgend soll

a) ein Überblick über das weite Feld der Aufgaben des Staates gegeben werden, wie es heute ist,

b) ein Kriterienkatalog erarbeitet werden, der es erlaubt, Staatsaufgaben von (künftig) privaten Tätigkeiten zu trennen,

c) die Vision eines liberalen Staates etwas mehr Kontur bekommen.

Wenn von Vision gesprochen wird, soll damit der Unterschied zur Utopie bzw. zu einem „konstruktivistischen“ Plan (in der Ausdrucksweise Hayeks) bezeichnet werden, der unvermittelt in einem großen Wurf an die Stelle des alten gestellt wird, als eine Revolution auf den Trümmern des untergegangenen jetzigen Staates. Solche illusionären Fiktionen sind dem Liberalismus wesensfremd. Er versteht sich als Idee, die in den unaufhörlichen Strom der Geschehnisse verändernd eingreift und diese in die bessere Richtung zu lenken versucht, ohne jemals einen fertigen Endzustand zu erreichen.

Die Fülle praktizierter staatlicher Aufgaben lässt sich in vier Gruppen gliedern:

  1. Frieden oder die äußere Sicherheit

  2. Recht oder die innere Sicherheit

  3. Verwaltung und Bewirtschaftung der öffentlichen Güter oder die Bürokratie

  4. Gestaltende Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft oder Interventionen

Liberale Entscheidungskriterien für eine Eindämmung des interventionistischen Staates

Als Entscheidungskriterien für eine Eindämmung und den anschließenden Rückbau des interventionistischen Staates halten wir Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit staatlicher Tätigkeit für zentral. Rechtmäßigkeit weil ein Staat auf Recht (und nicht Moral) gebaut sein muss und das Recht der Freiheit das Zusammenleben der Menschen verbessert; Zweckmäßigkeit, weil es stets (auch) eine konkrete Frage der Nützlichkeit, der Verbesserung des Lebens der Menschen ist, wenn der Staat respektive seine Angehörigen handeln.

Unter Rechtmäßigkeit versteht der klassische Liberalismus eine Ordnung, in der die uneingeschränkte Handlungswillkür des Menschen insoweit eingeschränkt ist, als nur einer übergeordneten Richterinstanz das letzte Wort in Konflikten zwischen Bürgern und Vergeltung für Unrecht gestattet ist. Es setzt also Selbstjustiz außer Kraft und Aggression zwischen den Menschen eines Gemeinwesens eine Grenze. Freiheit und Eigentum sind die beiden unveräußerlichen garantierten Grundrechte aller Menschen, weil sie die unverzichtbaren Grundlagen friedlicher Kooperation sind. Der Rechtsstaat darf Eingriffe in diese Grundrechte nur vornehmen, wenn dies zum Schutz der freiheitlichen Ordnung erforderlich ist und nur nach Prinzipien, die unparteiisch sind.

Zweckmäßigkeit bedeutet, dass die Rahmenbedingungen, innerhalb derer freie Menschen miteinander eine arbeitsteilige Zusammenarbeit eingehen, unterstützend wirken.

Mit Hilfe der beiden Prinzipien können einzelne Staatsaufgaben kategorisiert werden und ihre Kritik kann prinzipiengestützt erfolgen. So eröffnet sich ein Weg, die Diskussion der vier Aufgabengebiete liberale Entscheidungskriterien für einen Rückbau des interventionistischen Staates anzulegen.

Die Vision eines liberalen Staates wurde von Ludwig von Mises in der Tradition des klassischen Liberalismus als Minimalstaat konzipiert. Im Bewusstsein der Gefahr, dass der Staat zu einer Macht über die Bürger wird, muss sein Umfang so eng wie möglich zugeschnitten werden. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei eine Verfassung, die dem Staat Grenzen setzt, die auch nicht durch Mehrheitsbeschlüsse überschritten werden können. Die Einschränkung der staatlichen Aufgabengebiete ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für die Verhinderung einer autoritären Pervertierung. Je weniger politische und wirtschaftspolitische Macht der Staat ausüben kann, desto geringer sind die Handlungsmöglichkeiten von Sonderparteien und die Durchsetzbarkeit ihrer Partikularinteressen. Sonst droht der Staat in einen Wirtschaftsstaat abzugleiten, der nach der Illusion funktioniert, jeder könne auf Kosten des anderen durch den Staat leben. Wir können nachfolgend nicht eine kasuistische Erörterung aller Einzelfälle durchführen. Vielmehr soll beispielhaft gezeigt werden, wie Reformansätze gefunden werden können.

Ein Rückbau des Staates in Richtung auf einen Minimalstaat folgt dem Prinzip: Was der Staat schlechter versieht, sollte besser und so weit wie möglich in private Hände gelegt werden. Wir argumentieren mit Absicht vorsichtig. Ein Pochen auf die reine Lehre des Minimalstaates verbunden mit einer apodiktischen Ablehnung aller institutioneller Gegebenheiten, die darüber hinausgehen, erscheint uns selbst ein konstruktivistischer Ansatz zu sein. Wie wenig Staat möglich und wie viel nötig ist, muss auf evolutionärem Wege erkundet werden. Das klassisch-liberale Konzept des Minimalstaates nach Ludwig von Mises dient uns als Vision, nicht als Dogma.

Das übergeordnete Ziel des Rückbaus des Staates und der Freisetzung privater Verantwortung und Inititiative ist die Sicherung von Frieden und Recht. Dementsprechend gilt: Der Staat hat allen Menschen gleichermaßen zu dienen (Gleichheitsprinzip). Privat hat Vorfahrt – alles, was der Einzelne selbst oder in Kooperation verrichten kann, bleibt eine private Tätigkeit (Subsidiaritätsprinzip). Alle staatlichen Tätigkeiten werden auf der Ebene, auf der die Aufgaben anfallen, verrichtet (Prinzip der Non-Zentralität).

Die Forderungen im einzelnen:

  • Verbot der Pivilegierung einzelner Menschen und Gruppen

  • Verbot umverteilender Eingriffe (wirtschaftspolitische Neutralität)

  • Verbot ideologischer Vorgaben (gesellschaftspolitische Neutralität)

  • Vorrang privater marktwirtschaftlicher Lösungen (Privatisierung)

  • Vorrang des Erkundungsprinzips (evolutionärer Weg)

Das Gelingen des Ganzen

Die Bedeutung der genannten Punkte dürfte selbstverständlich sein. Neben diesen muss noch ein weiteres Kriterium ins Spiel gebracht werden, das sich einer strengen institutionellen Definition entzieht. Es betrifft die Frage, welche ideologischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit sich Menschen frei zu großgesellschaftlichen Zusammenhängen verbinden können. Hier kommen die geschichtlichen Überlieferungen ins Spiel, unser geistiges Selbstverständnis. Man hat diese Idee mit Begriffen wie „Gemeinsinn“ oder „soziale Verantwortung“ bezeichnet. Denn selbst dann, wenn die Möglichkeit zu Kooperation gegeben ist, setzt ihre Verwirklichung doch auch eine Absicht dazu, setzt sie Kooperationsbereitschaft voraus. Der Mensch kann, er muss aber nicht kooperieren. Es mag Einzelne geben, die ein Einsiedlerdasein der Gesellschaft vorziehen. Es gibt Menschen, die im Rahmen einer kooperierenden Großgesellschaft ihren Vorteil darin sehen, nicht mit anderen zu tauschen, sondern sie zu übervorteilen und zu berauben .

Die Raubtiermentalität war die Essenz der staatlichen Großversuche des 20. Jahrhunderts, die wir unter den Spielarten des Sozialismus finden. Dort wurden Kollektive über (viele) Einzelne gestellt. Sie sind historisch gescheitert und werden in den westlichen Ländern nur noch von Minderheiten vertreten. (In China, Russland und anderen weniger entwickelten Ländern sind Spielarten des Sozialismus noch immer die vorherrschende Ideologie.) Dass sie gescheitert sind, bedeutet aber nicht, dass die Raubtiermentalität damit für immer verschwunden ist. Bestand doch der Trick der Sozialisten darin, Gemeinsinn großzuschreiben, aber unter Ausschluss des Teils der Menschheit, dessen Ausbeutung und Unterjochung ihr Ziel und die Quelle von Reichtum für die neuen Herren sein sollte. Noch immer besteht die Gefahr, dass unter Berufung auf das Gemeinwohl die Freiheit des einzelnen Menschen zugunsten einer partikularistischen Idee eingeschränkt wird, wie beispielsweise dem ökologischen Konservatismus oder der Fata Morgana der sozialen Gerechtigkeit.

Aber auch vom anderen Extrem wird die Idee des Gemeinsinns unterhöhlt. Der Anarchismus leugnet die Notwendigkeit des Rechtsstaates, also allgemeinverbindlicher und durchsetzbarer Regeln, und des damit untrennbar verbundenen staatlichen Gewaltmonopols. Er kennt nur Individualrechte (folglich auch kein Gemeineigentum), weil er die notwendige Gebundenheit des Mängelwesens Mensch (Hume) nicht zum Ausgangspunkt seines Denkens macht, sondern in der Tradition des Rationalismus das mit Naturrechten ausgestattete isolierte Einzelwesen (Locke). Jede Einschränkung der individuellen Willkür lehnt er als illegitime Freiheitsbeschränkung des Einzelnen ab. Er kann nicht aufzeigen, welche Ordnung an die Stelle der Selbstjustiz treten soll, aber sie muss logisch in einen Sozialdarwinismus münden.

In dieser Hinsicht ist der Liberalismus nicht wertneutral. Er sieht in der gesellschaftlichen Gebundenheit des Menschen die Voraussetzung nicht nur für seinen Wohlstand, seine Sicherheit und Freiheit (von der Brutalität des Naturzustandes), er sieht den intellegiblen Menschen stets als ein Wesen, das ohne das Erbe der menschlichen Gemeinschaft und die wechselseitige Befruchtung auf den primitiven Zustand eines Kaspar Hausers zurückgeworfen ist. Ludwig von Mises schrieb: „In die Menschheit tritt der Mensch schon vergesellschaftet. Der isolierte Einzelne ist das Gebilde einer Fiktion. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass die Verwendung dieser Fiktion dem Rationalismus seine Entstehung verdanke und vorzugsweise jener Auffassung des gesellschaftswissenschaftlichen Denkens eigen wäre, die man als individualistisch zu bezeichnen pflegt. Der freischweifende Einzelmensch begegnet uns zuerst in religiösen Lehren, die ihn als Einzelnen erschaffen werden lassen und ihn als Einzelnen der Gottheit gegenüberstellen. Dass der Rationalismus des 17. und 18. Jahrhunderts an dieser Fiktion festhielt, geschah vornehmlich aus dem Grunde, dass er es nicht vermocht hat, sich ganz von den Fesseln theologischer Weltanschauung freizumachen … Er ist in seinen Kenntnissen und Fähigkeiten dem Leben in der Gesellschaft und auf der gegenwärtigen Höhe gesellschaftlicher Entwicklung angepasst … Die Welt, die uns gegeben ist, kennt den Menschen nur als ζώογ πολιτιχόγ, als Gesellschaftsmenschen.“ 1

Während die frühen Liberalen (und heute noch immer die Anarchisten) im naturrechtlichen Verständnis von der angeborenen Gleichheit aller Menschen und angeborenen Rechten und folglich vom isolierten Ich ausgingen, hält der klassische Liberale erst die Konventionen und Rechtsordnungen der gesellschaftlichen Zivilisation in Überwindung des rechtlosen Naturzustandes für eine feste Rechtsgrundlage:

Recht wird nicht metaphysisch als angeborene Eigenschaft, sondern als Beziehung zu anderen verstanden.

Dem liberalen Gedanken liegt die Idee der Einheit der gesamten Menschheit zugrunde. Das Verbindende wird höher geschätzt als das Trennende. Wer den anderen nicht als seinesgleichen ansieht, kann mit ihm auch nicht kooperieren und wer die Vorteile der Kooperation nicht höher schätzt als die eines Eremitenlebens, wird nicht kooperieren. Man hat auch versucht, diese Idee dadurch zu kennzeichnen, dass man ihr Gegenteil als Kälte metaphorisch umschrieben hat. Von der Idee, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, zur Vorstellung von angeborenen Rechten des Einzelnen (Selbsteigentum), ist es nicht weit. Der klassische Liberalismus sieht in der menschlichen Handlungsfreiheit die Voraussetzung für das mitmenschliche Handeln, für die Bildung von Gesellschaft. Ohne die anderen ist der Mensch ein Nichts. Der Liberalismus ist, um im Bilde zu bleiben, eine geistige Kraft der Wärme, der Menschlichkeit.

Recht ist nach Kant die Regel, nach der die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammengehen kann. Der Staat kann eingreifen, wenn die Freiheit aller bedroht ist. Indes kann der einzelne Bürger gegen staatliche Eingriffe in seine Eigentumsrechte Veto einlegen, auf eine Umwandlung in ein Anteilsrecht bestehen und muss entschädigt werden. Recht ist zugleich ein Kommunikationsmittel, eine Sprache, die zur Koordinierung und Lösung von Konflikten auch bei unterschiedlichen Moralvorstellungen dient. Die Ablösung der Moral durch das Recht als ideologisches Prinzip der Politik ist der Fortschritt vom Gewalt- zum Friedensverhältnis. Das Recht der Freiheit ist prinzipiell für jedermann zustimmungsfähig.

Res publica meint die öffentliche Sphäre, den Bereich des gesellschaftlichen Lebens, in dem Menschen zusammenkommen, weil sie gemeinsame Probleme erörtern und lösen wollen. Ursprünglich kamen die Menschen tatsächlich zusammen, sie trafen sich und diskutierten. Längst ist diese öffentliche Sphäre virtueller geworden. Unverändert geht es jedoch um die Bündelung von Einzelinteressen zu etwas Gemeinsamem, zu und in einer menschlichen Gemeinschaft. Durch eine Staatsbildung wird die menschliche Gemeinschaft und mit ihr die öffentliche Sache institutionalisiert.

Die res publica stellt eines zentrales Element der bürgerlichen Gesellschaft dar. Es gibt zu ihr keine Individual-Alternative. Mit Cicero gilt: „Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde.“

In der res publica sind alle rechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorgänge zu verorten, die die Gemeinschaft betreffen. Das schließt Krieg und Frieden, innere Sicherheit und die Fortentwicklung des Rechts, aber auch die Diskussion über bestimmte Projekte ein, etwa den Bau eines Flughafens oder Bahnhofs. Dort ist auch der Raum für die sogenannte öffentliche Meinung. Die gemeinsamen Vorgänge können nur gemeinsam gelöst werden, was zu einem politischen Verfahren, zur Politik führt.

Es ist in den höchstentwickelten Ländern naturgemäß sehr strittig, wie die res publica, die Sache des Gemeinwesens zu definieren sei. Hier streiten sich ideologische Welten. Beispielsweise gibt der Ökologismus das Ziel vor, die Erde als Lebensraum zu erhalten, wobei dem Menschen Schranken bei seinen Eingriffen in die Sphäre von Tieren und Pflanzen, aber auch auf das Gesamtsystem der Atmosphäre auferlegt werden sollen. Hier muss nicht in die Beweisführung eingetreten werden, dass der Ökologismus aus logisch zwingenden Gründen unfähig ist, eine haltbare Begründung seiner Postionen zu liefern. Es dient uns lediglich als Platzhalter für die Schar der Kritiker, die der liberalen Auffassung der res publica entgegenstehen. Der Liberalismus sieht darin die Erhaltung und Schaffung der Voraussetzungen einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die sich durch friedliche Zusammenarbeit aller Menschen zum Zwecke der Hebung der materiellen Lebensverhältnisse und den Schutz ihrer Freiheit auszeichnet, kurz das Friedensprinzip.

1. Bereich: Frieden oder die äußere Sicherheit

Innerstaatliche Beziehungen sind durch eine gültige Rechtsordnung geregelt, die durch einen Verfassungsrahmen fundiert sind. Unabhängigen Nationen müssen ihre Beziehungen in bilateralen Verträgen regeln. Die liberale Außenpolitik ist auf die Erhaltung des Friedens gerichtet. Sie umfasst Verträge mit anderen Nationen, Zugehörigkeit zu internationalen Einrichtungen und Organisationen, Gespräche mit den Vertretern anderer Länder, aber auch die Unterhaltung von eigenen Streitkräften und Geheimdiensten und die Zusammenarbeit mit Verbündeten. Im Einzelnen: die Mitarbeit in der Nato, der EU, im Euro-Verbund usw. Der Bereich lässt sich gliedern in:

  • Diplomatie und Außenpolitik,

  • Sicherheits- und Verteidigungspolitik,

  • internationales Recht und Verträge.

Oberster Grundsatz des Liberalismus ist also die Erhaltung des Friedens. Das Ziel aller Maßnahmen und Tätigkeiten in diesem staatlichen Bereich muss es sein, den Frieden zu sichern, um den freien Verkehr von Waren, Menschen und Ideen mit anderen Nationen zu fördern. Liberale sehen die Erde als ein zusammenhängendes Ganzes, in der sich die Arbeitsteilung, Spezialisierung und der Tausch von Gütern immer stärker entwickeln sollen, damit sich die materiellen Lebensbedingungen aller Menschen stetig verbessern können. Grenzen von Staaten sind mehr oder weniger starke Hindernisse des Verkehrs und sollen durchlässiger werden. Sie haben vor allem ihren Sinn bei der Bestimmung eines Rechtsraumes, in dem die Legitimierung von politischer Macht gelingt, weil die Bürger, die sich einer Nation zugehörig fühlen, die Verfassung als legitim und nützlich anerkennen.

Der zweite Grundsatz des Liberalismus ist die Verteidigung des freiheitlichen Rechtsstaates gegen Bedrohungen von außen. Um eine weltweite Friedensordnung zu erreichen ist die Angleichung der freiheitlich-rechtlichen Standards von immer mehr Staaten anzustreben.

Die Nationen des Westens stehen in der Tradition von Aufklärung und Liberalismus. (Damit sind auch die tieferliegenden geistigen Wurzeln, die religiösen Traditionen von Christentum und Judentum eingeschlossen). Sie sollen als eine gemeinsame Zivilisation mit anderen liberal gesonnenen Staaten und Organisationen für Frieden und Freiheit eintreten und sich gegen antiliberale Akteure zur Wehr setzen, ohne aggressiven Ziele zu verfolgen. Die so verstandene Westbindung ist ein dritter Grundsatz.

Doch nicht nur die Menschen der eigenen zivilisatorischen Hemisphäre sieht der Liberale als Mitmenschen an, sondern alle, also auch diejenigen, mit denen er im Streit steht. Das Friedensgebot verbietet jeden Angriffskrieg. Es fordert aber Wehrbereitschaft und -fähigkeit, um keine Anreize für Übergriffe von Aggressoren zu liefern. Eine liberale Nation fühlt sich mit allen Kräften verbunden, die gegen Tyrannen um ihre eigene Freiheit kämpfen und unterstützt liberale Kräfte im Freiheitskampf. Die freiheitlichen Ideen sind universell gültig. Die Solidarität mit der globalen Freiheitsbewegung ist ein vierter Grundsatz. Und da der freie Verkehr von Waren zugleich eine Frage des Friedens und des Rechts ist, stellt die globale Freiheitsbewegung zugleich eine globale Freihandelsbewegung dar.

2. Bereich: Recht oder die innere Sicherheit

Oberster Grundsatz des Liberalismus ist neben dem äußeren Frieden die Herrschaft des Rechts. In kurzer Form ist Recht aus liberaler Sicht, das Prinzip einer Regel, die die arbeitsteilige Ordnung der Gesellschaft und den Austausch von Gütern ermöglicht. Recht ist folglich nicht die Regel selbst. Von dieser würden wir sagen, sie ist rechtens, weil sie dem Prinzip des Rechts entspricht. Das Prinzip des Rechts und seine Aufgabe ist nun aber nichts anderes, als eine Situation zu schaffen, in der die Menschen durch Kooperation wechselseitig gewinnen. Alternativen wären Raub (von Freiheit und Gütern anderer Menschen) und Abschottung. Recht stiftet also Frieden – im Inland und im Ausland.

Das Recht erwuchs aus Konventionen, dem zur Routine geronnenen, ehrbaren und erwartbaren Verhalten. Recht dient wie angesprochen als Konfliktsprache, die es sonst nicht gäbe. Recht speichert die erwartbare friedliche Beilegung von Konflikten und verkörpert die Bereitschaft, diese friedlich zu lösen. Das kommt in der Formel der Unterwerfung unter die Herrschaft des Rechts anstelle der Herrschaft von Menschen über Menschen zum Ausdruck.

Frieden stiftet eine Regel dann, wenn ihr beide Seiten freiwillig zustimmen können und auch nach Maßgabe ihrer eigenen Interessen zustimmen müssen, wenn sie gegenüber beiden Parteien eine unparteiische Position einnehmen. Regeln, die sich universeller, absoluter Zustimmbarkeit erfreuen, sind solche, die im Hinblick auf alle erdenklichen Fälle keinen der Handelnden im Hinblick auf die Erreichung seiner Ziele benachteiligen oder bevorzugen. Es ist die Überzeugung der Möglichkeit dieser Universalität des Recht, die den Liberalen zum Optimisten macht. Kant fand das Prinzip liberalen Rechts, wenn er postulierte, dass Recht die Regel ist, nach der die Freiheit des Menschen mit der Freiheit eines anderen unter allgemeinen Rechtsgesetzen zusammengehen kann. Das bedeutet, dass Gesetze weder diskriminierende noch privilegierende Wirkungen haben dürfen. Den kürzeste Ausdruck findet dieses Prinzip in der Formulierung „Gleichheit vor dem Gesetz“, also in der ausnahmslosen rechtlichen Gleichheit aller.

Dieser funktionalistische Charakter des Rechts unterscheidet es von der Moral, die auf Werturteilen beruht. Moral ist nicht universalisierbar, sondern subjektiv. Sie ist daher nicht rational begründbar und nicht funktionalistisch, sondern dogmatisch. Handlungen, die moralische Ziele verwirklichen wollen, erzeugen tendenziell nicht friedlich beilegbare Konflikte zwischen Anhängern unterschiedlicher Moralauffassungen. Dies war die Erkenntnis, die die liberalen Aufklärer aus dem Jahrhundert der Glaubenskriege zogen. Das Recht aber schlichtet Streit auch zwischen Parteien, die unterschiedlichen Moralauffassungen anhängen. Politisches Handeln muss sich am Recht ausrichten, nicht an der Moral. Moralpolitisches Handeln polarisiert und zersetzt den Frieden.

Dieser zweite Bereich staatlicher Tätigkeiten umfasst

  • das Verfassungsrecht,

  • die Gesetze und die Gesetzgebung,

  • die Gerichte,

  • die Strafermittlungs- und -verfolgungsbehörden wie Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft, Polizei, Strafvollzug u.a.

Eine streng nach dem Grundsatz des liberalen Rechtsbegriffes formulierte Verfassung bildet einen starken Schutz gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten des Bürgers durch einen machthungrigen Staat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schreibt viele wesentliche Freiheitsrechte fest, ist aber in einigen Punkten unscharf (z.B. Eigentum verpflichtet) und in einigen inkonsistent. Eine Politik der materiellen Gleichstellung von Gruppen (hier die Frauen) verstößt – wie alle heute vermeintlich modernen Gruppenrechte – gegen das Gebot der Unparteilichkeit, das im selben Artikel 3 formuliert wird. Die Beseitigung aller illiberalen und illegitimen Verfassungsartikel ist Teil unserer Vision.

Das Recht bildet die Grundlage für den inneren Frieden, wenn sie dem Kriterium der Gleichheit aller Bürger in rechtlicher Hinsicht entspricht. Die herausragende Funktion des Rechts ist es, oberste Autorität zu sein. Dem Recht unterstehen alle Bürger, insbesondere die Machtinhaber, also auch die Staatsführungen und Mehrheiten in den Parlamenten. Mehrheiten sind nicht ermächtigt, Grundrechte von Minderheiten zu verletzen, zu schmälern oder abzuschaffen. Minderheitenrechte sind keine Sonderrechte, sondern Teil des allgemeinen Rechts. Die Begrenzung der Macht, der Herrschaft von Menschen über Menschen durch das Recht ist das Ideal. Aus dieser Autorität des Rechts leitet sich die streitschlichtende Wirkung der Richter ab. Sie sprechen das letzte Wort und legen Konflikte bei. Ihnen kommt das ausschließliche Recht der Strafe und Vergeltung zu. An sie sind sehr hohe Anforderungen zu stellen, weil sie das Recht anwenden und zuweilen (nicht zuletzt in Konventionen) finden müssen.

Das Recht kann nicht privatisiert werden, soweit es die allgemein gültigen Fragen betrifft. Nur was ausschließlich bi- oder multilaterale Interessen betrifft, kann durch private Verträge geregelt werden. (In diesem Fall würden wir auch nicht von Recht, sondern von Vereinbarungen sprechen.) Im Bereich des internationalen Handels bestehen nichtstaatliche Schiedsgerichte. Doch auch im Bereich 2 gibt es Möglichkeiten, die unverzichtbare staatliche Tätigkeit zurückzubauen. Die Überwachung und Sicherung von Orten kann privaten Unternehmen übertragen werden. Selbst der Strafvollzug kann an private Einrichtungen delegiert werden. Zudem ist ein Wettbewerb der Gesetze auf einem Territorium, aber in unterschiedlichen Städten oder Landstrichen zweckmäßig. Das kann für die praktische Fortentwicklung in Richtung einer Verfassung der Freiheit auch in Form von zeitweiligen Sonderrechtszonen erfolgen, die das Entdeckungsverfahren beflügeln. Der Kern des 2. Bereichs sind die geistigen Mittel, nicht die materiellen, die zur Ausführung der Sicherheitsaufgabe dienen.

Die beiden ersten Bereiche – äußere und innere Sicherheit – sind die Kernbereiche eines liberalen Minimalstaates. Die beiden folgenden Bereiche sieht der Liberalismus in unterschiedlichem Maße als problematisch an. Dort ist breiter Raum für Reformen, nicht zuletzt durch einen Rückbau des Staates, einer Entmachtung staatlicher und wirtschaftlicher Akteure, für Privatisierung von Gemeineigentum. Dem Konturen zu geben, ist Aufgabe der nachfolgenden Untersuchung.

3. Bereich: Die Bürokratie: Verwaltung und Bewirtschaftung öffentlicher Güter

Zu den öffentlichen Gütern zählen alle freien und alle Güter in Allgemeinbesitz. Das sind geistige (wie die Gesetze) und materielle Güter (wie Infrastruktur), die nicht auf einem Markt gehandelt werden können (oder sollen) und daher auch keinen Preis haben. Beispielsweise ist ein funktionierendes Rechtssystem, das Eigentum schützt und Streitfälle rasch und zuverlässig beilegt, eine wichtige Rahmenbedingung für die Investitionen von Kapitalisten und Unternehmern im In- und aus dem Ausland. Die Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau spielt in einem internationalen Arbeitsmarkt eine Rolle Güter können materieller, institutioneller oder geistiger Natur sein. Dazu gehört eine schwer zu überschauende Vielzahl von Bereichen und Einzelaufgaben, die hier nur näherungsweise erfasst werden können. Die Aufzählung folgt den Bereichen, in denen der Staat tätig ist, aber erhebt weder den Anspruch systematisch noch vollständig zu sein.

  • Flächen und Grundstücke in öffentlichem, d.h. staatlichem Eigentum (in Deutschland: Bund, Land, Kommune)

  • Stadt- und Verkehrsplanung sowie deren Infrastruktur

  • Erhaltung von Naturschönheit und frei zugänglicher Erholungsflächen (Wälder, Parks, Seen)

  • Versorgung und Entsorgung

  • Schutzeinrichtungen

  • Bildung und Betreuung

  • Gesundheit und Hygiene

  • Grundlagenforschung

  • Kultur

  • Archive und Datenbestände

  • freie Güter (Luftraum und Gewässer)

Es ist die Vision eines liberalen Staates, die Zahl der öffentlichen Güter auf diejenigen einzuschränken, die sich nicht privatisieren lassen, ohne daraus schwerwiegende Nachteile für breitere Teile der Bevölkerung zu verursachen. Und solche Güter gibt es eine ganze Menge, wie im weiteren beispielhaft gezeigt werden soll. Andererseits befinden sich unter den Aufgaben im Bereich 3 viele Güter, die nur zu öffentlichen / staatlichen erklärt wurden, ohne dass dies sachlich geboten wäre. In strenger Auffassung sind alle produktiven Tätigkeiten des Staates zu privatisieren. Allein die rechtliche Überwachung der Ausführung ist unverzichtbare staatliche Aufgabe. Beispielsweise werden notarielle Aufgaben weithin privat ausgeführt. Warum dann nicht auch die Archivierungsaufgaben der Grundbuchämter? Zugleich erfordert auch die Überwachung eine Verwaltung. Die Grenzen sind nur im Einzelfall zu ermitteln.

Entbürokratisierung

Alle Aufgabenbereiche ziehen Verwaltungsaufwand nach sich. Verwaltungen neigen dazu, ihr Tätigkeitsfeld und ihr Personal ständig zu vergrößern und entwickeln in dieser Weise eine Tendenz zur Vermachtung immer weiterer Gebiete des öffentlichen Lebens, wobei auch nicht vor dem Privatleben halt gemacht wird. Verwaltungen unterliegen nicht dem Anreizsystem und damit dem Korrektiv des Marktes, sie funktionieren im wesentlichen planwirtschaftlich, eben bürokratisch. Wo Verwaltung verzichtbar ist, müssen die Reformen zum Abbau der staatlichen Aufgaben verbunden sein mit einer Verringerung der Aufgaben und Zahl der Staatsbediensteten auch durch Abschaffung zahlreicher überflüssiger Behörden. Die besondere Loyalitätspflicht von Bediensteten, die sich aus dem Beamtenstatus ergibt, ist, wenn überhaupt, nur in wenigen spezifischen Aufgabenbereichen erforderlich (etwa bei Richtern, Berufsoffizieren, Spitzenbeamten) und sollte so weit wie möglich zurück gebaut werden, weil sie die innere Freiheit der Personen einschränkt und Fehlanreize setzt. Liberalisierung ist Entbürokratisierung.

Zugang

Die Definition öffentlicher Güter kann enger oder weiter gefasst werden. Unstrittig gehören zu den Aufgaben in diesem Bereich die Verwaltung und Bewirtschaftung von Grundeigentum im Allgemeinbesitz. Doch dieser Sektor überschneidet sich mit den anderen etwa im Straßenbau. Wenn eine Straße im Staatseigentum ist, muss sie auch von ihm federführend bewirtschaftet werden, was nicht heißen muss, das die Aufgaben durch Staatsbedienstete durchgeführt werden. Der Staat kann auch nicht das Gemeineigentum ohne weiteres an Privatpersonen veräußern, weil dies mit der Verletzung von Eigentumsrechten von Bürgern verbunden ist. Beispielsweise darf der Staat nicht einen Abschnitt eines Flusses oder einen Luftraum privatisieren, wenn damit eine Behinderung der Flussschifffahrt oder des Luftverkehrs verbunden ist. Es müssen Querungs- und Zugangsrechte eingeräumt werden, wie sie zum Beispiel in der bayerischen Verfassung für Seeufer gelten. Der Boden ist ein zusammenhängender Verkehrsraum der gesellschaftlich miteinander verbundenen Menschen. Seine Einhegung behindert diesen und schränkt die wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten ein. Eine Privatisierung von Straßen kann nicht mit der uneingeschränkten Übertragung von Verfügungsrechen verbunden sein. Ihre Benutzung muss jedermann offen stehen, genauso wie Flughäfen, aber anders als etwa bei einer Konditorei, die diskriminieren darf.

Veräußerung von Allgemeineigentum

Bei einer Veräußerung von Gemeineigentum an Privatpersonen muss der Grundsatz gelten, dass ihr alle zustimmen können. Das ist dann der Fall, wenn die Vorteile einer solchen Maßnahme auch allen zugute kommen und niemand schlechter gestellt wird. Andernfalls verletzt sie das Eigentumsrecht, das alle Bürger an diesem Gut haben. Der Verkauf von Lizenzen zur Nutzung des Schienennetzes der Bahn ist eine andere Sache als der Verkauf von Teilen des Netzes: der Trassen, Schienen, Oberleitungen, Bahnhöfe usw. oder gar des Gesamtnetzes. Denn das Netz ist ein nichtlenkbares Kapitalgut, ein ortsgebundenes Verkehrssystem, dessen Nützlichkeit auch von seiner zusammenhängenden Vollständigkeit abhängt. In einem einheitlichen System können Teilbereiche in isolierter Betrachtung nicht rentabel erscheinen. Dagegen haben sich Privatlizenzen für bestimmte Linien als positiv stimulierend auf das Gesamtsystem erwiesen. Dieses Prinzip ließe sich auf viele ortsgebundene Infrastruktureinrichtungen übertragen. Bei der Privatisierung von Infrastruktureinrichtungen ist auch zu bedenken, dass häufig zu ihrer Herstellung Privatgrund enteignet wurde, was nur darum als legal betrachtet wurde, weil es für das Gemeinwohl notwendig war. Eine Privatisierung würde diesen Grund rückwirkend zunichte machen und ein beträchtliches Konfliktpotenzial darstellen. Bei der Durchführung sind die Erfahrungen in Osteuropa zu berücksichtigen (Oligarchisierung). Leitidee des Liberalismus ist die Privatisierung von unten: durch die Menschen für die Menschen.

Enteignung von Privateigentum

Der Staat ist im Interesse aller Bürger berechtigt, Grundstücke zu enteignen, die für den Ausbau der Infrastruktur unverzichtbar sind. In einem liberalen Staat müssen solche Eingriffe in das Privateigentum strengeren Richtlinien unterworfen werden, denn sie berühren das Prinzip des Eigentumsschutzes, das in liberaler Sicht oberste rechtliche Priorität hat. Der damit festgestellte Zielkonflikt gehört zu den schwierigsten Problemen eines legitimen staatlichen Handelns. Kriterien, die einen Eingriff in das Privateigentum rechtfertigen, können nur Notlagen sein, die weit über reine Kostengesichtspunkte hinausgehen, etwa die Gefahr eines völligen Scheiterns eines unverzichtbaren Vorhabens. Doch was ist unverzichtbar? Eine dritte Startbahn am bedeutenden Frankfurter Flughafen lässt sich eben nicht in den Hunsrück verlegen, und ein Verzicht auf die Erweiterung dieses Verkehrsknotenpunktes blockiert die wirtschaftliche Entwicklung an einem neuralgischen Punkt. Würden Grundeigner eine Erweiterung blockieren, würde Kapital abwandern und Wanderungen von Arbeitern nach sich ziehen. Engstirnige Provinzler bewirken den Niedergang einer ganzen Region. Diese Zielkonflikte verschärfen sich, je dichter die Bebauung ist. Dagegen lassen sich neue Verkehrstrassen meist einigermaßen variabel gestalten und auch der Standort eines neuen Flughafens kann variabel gewählt werden. Immer müssen bei solchen Entscheidungen Werturteile gefällt werden, die die Wahl von Zielen und Mitteln betreffen. Dabei sind Zielkonflikte unvermeidlich, denn Werturteile sind immer subjektiv.

Territorial gebundenes Allgemeineigentum

Das Straßennetz hat sich spontan seit Urzeiten entwickelt. Das heutige Bahnnetz in Deutschland entstand noch in Privatinitiative. Es wurde in einem Land verlegt, das überwiegend agrarisch bewirtschaftet wurde. Doch schon in der Zeit des Merkantilismus wurden erhebliche Eingriffe getan, um Flüsse zu begradigen, Kanäle zu ziehen, Straßen und Brücken anzulegen. Tulla begradigte den Rhein im Auftrag des badischen Fürsten, der mit den Nachbarstaaten zusammenarbeiten musste. Ohne solche drastischen Eingriffe und Planungen des Staates respektive der Städte gäbe es kein Abwassernetz, keine U-Bahn und keine Boulevards in Berlin. Es gäbe keine Flughäfen und Flugschneisen, keine schiffbaren Flüsse. Es ist ein Merkmal der Intensivierung des gesellschaftlichen Zusammenarbeitens, dass sich die Interessen verflechten und gemeinsame Interessen aller ergeben, die nicht unilateral verfolgt werden können. In keinem Land der Erde besteht eine hochentwickelte Infrastruktur, die sich ausschließlich, noch nicht einmal vorwiegend aus privatem unternehmerischem Handeln ergeben hat. Wir unterscheiden daher zwischen den territorial gebundenen allgemeinwirtschaftlichen Infrastruktureinrichtungen, die nicht durch alternative Einrichtungen in einen konkurrierenden Wettbewerb gezwungen werden können, und ihrer privatwirtschaftlichen Nutzung, die in Form von Verpachtungen und Lizensierungen erfolgen kann. Die Alternative wäre aber der völlig Verzicht auf jegliche öffentlichen Güter, was zu einer beträchtlichen Schädigung des Allgemeinwohls führen müsste.

Gesichtspunkte des Allgemeinwohls

Wenn Sonderinteressen gegen Allgemeininteressen ausgespielt werden, können sich neue Technologien nicht oder schwer durchsetzen. Die angebliche Strahlenbelastung von Anwohnern wurde gegen den allgemeinen Nutzen der Kernkraftwerke ausgespielt und so ein Ende dieser Technologie erzwungen. Es ist fraglich, ob in einer Nation, in der die öffentliche Meinung in dieser Weise destruktiv wirkt, eine grundlegende Industrialisierung überhaupt möglich wäre. Ohne Gemeinsinn wächst die Gefahr von Kapitalaufzehrung statt Neubildung. Dies gilt auch analog für öffentliche Güter.

Allgemeinwohl bedeutet hier ein Zustand der wirtschaftlichen Bedingungen, der die Ergiebigkeit der produktiven Tätigkeit günstig beeinflusst. Stabilität der Energieversorgung, Flüssigkeit und Geschwindigkeit von Verkehr und Transport, Attraktivität bei der Anwerbung von Fachkräften sind dem Allgemeinwohl zuträglich. Es sind Rahmenbedingungen, in dem sich die freie Gesellschaft positiv entfalten kann. Wie mikroklimatische Einflüsse und die Bodenbeschaffenheit sich auf die landwirtschaftliche Produktion auswirken, sind technische, organisatorische und kulturelle Bedingungen ein „Mikroklima“ für die Industrie. Gebiete mit öffentlichen Gütern auf hohem Niveau werfen Grundrenten im Vergleich mit anderen ab, in denen das Niveau geringer ist.

Die Liberalismus vertritt den Standpunkt, dass die Herstellung und die Verteilung der Güter den Bedürfnissen der Bürger in ihrer Eigenschaft als Verbraucher am besten entsprechen, wenn diese in einem freien Markt gehandelt werden. Somit sind so weit wie möglich auch öffentliche Güter zu privatisieren. „Soweit wie möglich“ bedeutet, wenn sie auf dem Markt nachgefragt werden können und so einen Preis bilden. Die Privatisierung von Post, Telekom und Bahn brachte spürbare Verbesserungen in Leistung und Wirtschaftlichkeit, doch das Potenzial an Privatisierungen ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Faire Konkurrenz staatlicher und privater Anbieter

In annähernd allen Sektoren existieren neben den staatlichen auch private Anbieter. So gibt es trotz des flächendeckenden staatlichen Schulsystems Privatschulen. Zwischen den staatlichen Einrichtungen und den privaten Unternehmen besteht in der Regel eine Wettbewerbsverzerrung, da die staatlichen Einrichtungen durch Steuergelder unterhalten werden, während die privaten Unternehmen nur teilweise in den Genuss einer durch Steuern und Abgaben finanzierten Kostenübernahme kommen. Sie sind gezwungen, ungedeckte Kosten an die Nutzer abzuwälzen, die gleichzeitig als Steuerzahler bereits anteilig für die konkurrierenden staatlichen Einrichtungen Leistungen erbracht haben und daher doppelt belastet sind. Hier ist eine Gleichstellung rechtlich geboten.

Geeignete Mittel zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit und rechtlicher Gleichstellung sind beispielsweise:

  • steuerlicher Ausgleich bei Bürgern, die private Unternehmen in Anspruch nehmen, oder

  • Gutscheine für Leistungen, die wahlweise vom Staat oder von Privatanbietern erbracht werden

  • Herstellung unternehmerischer Autonomie und Rechnungsführung in staatlichen Einrichtungen durch Globalhaushalte

Zudem ist das Bildungssystem, um beim Beispiel zu bleiben, vollständig dem Wettbewerb zu öffnen. Das bedeutet auch, die staatlichen Institutionen zu entprivilegieren, was so unterschiedliche Felder betrifft wie den Status der Lehrer, Standards für Lehre und Lerninhalte, die freie Schulwahl etc.

Gemeinnützige Privatunternehmen

Es gibt auch Fälle, wo private Anbieter die Notlage anderer ausnützen können, um sich zu bereichern. Marcus Licinius Crassus (* 115 oder 114 v. Chr.; † 9. Juni [?]) ergaunerte sich ein enormes Vermögen, indem er eine private Feuerwehr aufstellte, die aber nur eingriff, wenn der Besitzer eines brennenden Gebäudes es vorher zu Schleuderpreisen an ihn verkaufte. Es wird gesagt, er habe die gewünschten Gebäude selbst angesteckt. Öffentliche Güter wie die Sicherheit, hier im Falle des Feuerschutzes, sollen dem Allgemeinwohl dienen. Privatanbieter haben sich diesem Prinzip zu unterstellen. Ärzte müssen auch dann wenigstens Erste Hilfe leisten, wenn der Patient nicht bezahlen kann. Soziales Verhalten ist der Dank für die immensen Vorteile, die der Einzelne aus einem Leben in gesellschaftlicher Arbeitsteilung zieht. Wenn in Geldausdrücken gerechnetes Geben und Nehmen das Maß der Dinge einer Tauschwirtschaft ist, dann ist der gute Wille zur Fairness und freiwillige Kooperation die Grundlage für das Gedeihen des Gemeinwohls im Umgang mit Gütern, die nicht in Geldausdrücken verrechnet werden können. Daraus folgt das

Schadensvermeidungsprinzip

Eine Einrichtung, die zur Bereicherung eines Einzelnen auf Kosten anderer dient, dient nicht dem Allgemeinwohl. Umgekehrt nützt, was allen nützt, auch dem Einzelnen. Der Feuerschutz ist eine Vorsorge zur Erhaltung von Gütern, deren Vernichtung alle Bürger betreffen kann. Ihre Finanzierung aus dem gemeinsamen Einkommen des Staates ist vergleichbar mit einer Versicherung, in der arbiträr auftretende Kosten, die im Einzelfall schmerzhaft sein können, umgelegt werden. Die Freiwilligkeit ist ein gültiges Prinzip, so lange die Schäden, die es zu versichern gilt, nur Einzelne betreffen. Wenn aber Schäden Einzelner zur Schädigung weiterer Personen führen, liegt eine Rechtfertigung für eine gesetzliche Regelung vor. Dieses Schadensvermeidungsprinzip ist auch auf dem Gebiet der Gesundheit und Hygiene einschlägig, etwa bei der Masernimpfung.

Grundlagenforschung und Privatinitiative

Häufig nehmen öffentliche Güter eine Zwitterstellung zwischen freien Ideen und Waren ein. Die Grundlagenforschung wird in Deutschland teils privat, aber überwiegend staatlich organisiert und finanziert, wenn auch durch die Anwerbung von Drittmitteln mit der Privatwirtschaft verschränkt. Da wir Forschung als Teil der Produktion ansehen müssen, gilt das Prinzip, dass angewandte Forschung Privatsache ist. Was aber ist mit der Grundlagenforschung? Wenn die Wissensproduktion, die keinen direkten Zusammenhang mit unternehmerischen Projekten zulässt, im Interesse der Privatwirtschaft ist, dann wird sie auch von ihr gefördert. Dies geschieht auch in bestimmten Bereichen, aber nicht in vollem Umfang. Es gibt Beispiele für erfolgreiche Grundlagenforschung auf wirtschaftlicher Grundlage von Privatunternehmen, so die Entschlüsselung des menschlichen Gencodes durch Celera Corporation von Greig Venter in Konkurrenz zu dem staatlichen Human Genom Projekt seit 1990. Venter konnte seine Forschungsergebnisse unmittelbar ökonomisch nutzen und damit Gewinne und Einkünfte erzielen. Die Entschlüsselung des eigenen Genoms ist ein Gut, das als Ware marktgängig ist. Man könnte daher seine Forschung auch gar nicht der Grundlagenforschung, sondern der angewandten zurechnen. Ist aber die Entdeckung des Planckschen Quantenprinzips ein solches? Heute wird aus den Leistungen von Planck, Heisenberg u.a. wirtschaftlich nutzbares Wissen. Wären sie auch gewonnen worden, wenn der deutsche Staat deren Arbeit nicht bezahlt hätte? Als Werner Heisenberg während eines Sommerurlaubs auf Helgoland die erste mathematische Formulierung der Quantenmechanik gelang, für die er den Nobelpreis erhielt, war damit kein ökonomisches Interesse verbunden und noch nicht einmal absehbar. Er lebte von seinem Gehalt als Hochschullehrer und folgte nur seinem Wissensdurst. Sicher ist, dass solche Forschungsprojekte, die im Zeithorizont unternehmerischer Projekte rentabel erscheinen, also kapitalisiert werden können, angegangen werden. Bei anderen, deren Nutzung in weiter Ferne liegt, ist dies fraglich. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird Grundlagenforschung vorwiegend von akademischen Einrichtungen betrieben, die sich aus privaten Stiftungen speisen. In Deutschland gibt es bisher keine damit vergleichbar Stiftungskultur. So lange die Privatinitiativen noch zu schwach sind, muss der Staat einspringen. Tut er dies, verdrängt er aber auch Privatinitiativen. Die stetige Ablösung der staatlichen durch die Privatinitiative ist eine liberale Vision.

Selbstorganisation der Grundlagenforschung

Und wer entscheidet darüber, was erforscht wird? Wir beobachten eine zunehmende Einflussnahme des Staates auf die Forschungsinhalte, sogar auf ihre Ergebnisse. Die Vergabe von Forschungsgeldern wird gerade von staatlichen Stellen als Instrument genutzt, um Tendenzforschung zugunsten des politischen Mainstreams zu fördern, wie die Klimafolgenforschung, die Genderforschung oder die zugunsten der in Mode gekommenen Unterrichtsreformen zeigen. Diese Vermachtung von Wissenschaft ist zutiefst illiberal. Niemand anders als die scientific community selbst kann und darf Forschungsziele festlegen und Forschungsergebnisse – es muss erwähnt werden – stehen niemals vorher fest. Staatliche Behörden müssen sich hier vollständig zurückhalten. Die scientific community allein besitzt das Wissen, welche Forschungsprojekte aus inhärenten Gesichtspunkten heraus die vielversprechendsten sind. Sie selbst ist ein öffentliches Gut, deren Nutzen niemand voraussagen kann, der aber für den wirtschaftlichen Fortschritt entscheidend war und sein wird. Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass die Selbstorganisation der wissenschaftlichen Forschung alles andere als ideale Bedingungen schafft. Der Eigennutz der einzelnen Forscher behindert häufig neue bahnbrechende Ideen, wie Kuhn und Lakatos zeigten. Es gibt aber keine übergeordnete Instanz, die klüger und selbstloser agieren könnte. Auch die würde von fehlbaren Menschen geleitet.

Nutzerprinzip

Liberale anerkennen die Notwendigkeit von öffentlichen Gütern. Einrichtungen wie die Erste Hilfe, Feuerwehr, Deiche, Schulen, Hochschulen, Stätten der Grundlagenforschung, Museen usw. leisten Dienste, die nicht ausschließlich einer bestimmten Gruppe von Bürgern zuzuordnen ist. Ein privatrechtliches Unternehmen der Ersten Hilfe wie das Rote Kreuz ist einerseits privat, aber es übernimmt die Aufgabe der Pflege eines öffentlichen Gutes anstelle einer öffentlichen Einrichtung. Im Rahmen einer überwiegend privaten Krankenvorsorge kann echter Wettbewerb zwischen Erste-Hilfe-Unternehmen zu einer Erhöhung der Effizienz und zu Kosteneinsparungen führen. So lange wie dies privat gut gelingt, hält sich der Staat zurück. Leuchttürme waren zunächst vielfach private Einrichtungen; sie sind heute Teil eines Systems, deren Lückenlosigkeit staatlich gewährleistet wird. Die Nutznießer von Leuchttürmen lassen sich exakt einkreisen und daher auch zur Kostenübertragung heranziehen. Aber ein Deich bietet nicht nur den Anwohnern Schutz, er verhindert auch Folgen von Überschwemmungen, die eine nicht klar bestimmbare Zahl von Nichtanwohnern belasten würden. Wir müssen also Bereiche, die der Allgemeinheit Lasten aufbürdet, deren Nutzen überwiegend Einzelnen zukommt, unterscheiden von solchen, deren Nutzen breit gestreut und diffus ist. Dabei gilt das Subsidiaritätsprizip, also die Durchführung der Aufgaben und die Übernahme der Kosten auf der relevanten und damit möglichst niedrigen Ebene zu belassen.

Damit ergibt sich das erste Prinzip bei der Beurteilung staatlicher Aufgaben im Bereich der öffentlichen Güter, das Nutzerprinzip, das darauf beruht, dass die Nutznießer so weit wie möglich die Kosten zu tragen haben und diejenigen Sektoren, in denen eine solche Zuordnung nicht randscharf möglich ist, der Allgemeinheit zur Last fallen.

Verursacherprinzip

Die Nutznießer von Kläranlagen sind dem Gewässerverlauf folgende Anwohner, doch die Kosten müssen die Verursacher tragen. Das Verursacherprinzip ist bei den Kosten zu beachten. Umweltverschmutzung ist Schädigung der Eigentumsrechte anderer. Doch wie weit gehen Schadensersatzansprüche, zum Beispiel bei der Lärmbelästigung von Produktionsstätten? Die Abgrenzung ist schwierig und im Einzelfall auf der Grundlage von mehrheitlichen Konventionen zu treffen, die nicht zuletzt Erwartungssicherheit schaffen. Zudem gilt es zu prüfen, ob es nicht private Alternativen gibt, etwa die Entschädigung für entgangenen Nutzen (Coase-Theorem).

Subsidiarisierung und Föderalisierung

Nicht alle staatlichen Aufgaben sind notwendig solche von nationaler Bedeutung. Ein öffentliches Klärwerk wird vernünftigerweise von Gemeinden und kommunalen Zweckverbänden betrieben. Die Gesichtspunkte der Subsidiarisierung und Föderalisierung sind auch hier streng einzuhalten. Im Bereich Verkehr und Versorgung gibt es dagegen Anlagen, die die nationalen Grenzen überschreiten. Hier müssen nationale Einrichtungen federführend sein, wenn sie die Grenzregion überschreiten.

Outsourcing

Wo Dienstleistungen einen scharf umgrenzten Nutzen und eine Eingrenzung von Nutznießern erlaubt, greift das Prinzip der Privatisierung. Die Betreuung von Kindern ist ausschließlich Privatangelegenheit und kann nicht der Allgemeinheit zu Last gelegt werden. Hier haben private Unternehmen Priorität. Das Prinzip der Teilprivatisierung kann auch im Rahmen von staatlichen Einrichtungen zweckmäßig und gerecht sein. So ist beispielsweise im Rahmen der etablierten Hochschulausbildung die Studiengebühr ein geeignetes Mittel für eine Kostenbeteiligung, die für eine gerechtere Verteilung der Kosten nach dem Nutzerprinzip sorgt. Eine vollständigere Herstellung des Rechnungszusammenhangs, also zwischen anfallenden Kosten und der genutzten Dienstleistung, ist das Ziel.

Zwar ist es nicht statthaft, Gerichte zu privatisieren, aber die Wartung und Instandhaltung von öffentlichen Gebäuden wird effizienter von Privatunternehmen durchgeführt. Zur Entlastung von Gerichten werden Instanzen vorgeschaltet, in denen der Richter mit den Parteien im Gespräch eine Einigung sucht oder gar eine Mediation ohne Hilfe von Richtern zur Streitschlichtung eingesetzt. Outsourcing ist ein geeignetes Mittel, das im Rahmen der Teilprivatisierung so weit wie möglich angewendet werden soll. Kollusionsprobleme gilt es dabei zu berücksichtigen.

Erkundungsprinzip

Liberale unterscheiden streng zwischen den hoheitlichen Aufgabenbereichen 1 und 2 und den internationalen, nationalen und regionalen Dienstleistungen im Bereich öffentlicher Güter, die nicht in vollem Maße marktmäßig erbracht werden können. Das Prinzip lautet: So wenig Staat wie möglich, so viel Privatisierung wie möglich. Es ist letztlich in jedem einzelnen Fall ein Erkundungsprozess nötig, bei dem sich die Tragfähigkeit und Gerechtigkeit von Privatisierungslösungen erweisen muss. Strenge dogmatische Festlegungen sind nicht zielführend. Allerdings gilt: Dem einzelnen Menschen darf nichts genommen werden, was er nicht selbst oder durch Kooperation mit anderen leisten kann. Der Staat ist kein Dienstleister, er hat keine Kunden, allenfalls Abnehmer. Der Staat folgt dem Bürokratieprinzip und unterliegt kann nicht nach den Gesetzen der Marktwirtschaft wie ein Unternehmen. Die hier vorgelegte Übersicht ist nicht abgeschlossen und nur skizzenhaft. Sie soll vor allem zeigen, wie ein Rückbau des Staates im Bereich 3 nach liberalen Grundsätzen durchgeführt werden kann. Wir zeigen Ansatzmöglichkeiten, von denen ein evolutiver Erkundungsprozess ausgeht, dessen Tiefe nicht vorausbestimmt werden kann.

4. Gestaltende Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft oder Interventionen

Der Staat tritt einerseits als Marktteilnehmer auf, wenn er beispielsweise Gebäude erstellt. Andererseits wird auf staatlicher Grundlage Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik betrieben, die das Ziel hat, einen bestimmten Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft durch Maßnahmen herzustellen. Diese Maßnahmen stellen Eingriffe in die freie Kooperation von Menschen dar, sei es durch wirtschaftliche Tätigkeit, Regulierung oder Subventionen und Aufträge.

Die Gebiete, in denen staatliche Wirtschaftstätigkeit unmittelbar stattfindet, haben sich seit den Reformen Ende des letzten Jahrhunderts verringert. Es gibt aber immer noch einige, noch nicht vollständig privatisierte Unternehmensfelder, beispielsweise:

  • Forste (ca. 43 % sind privat) und

  • landwirtschaftliche Güter (nur wenige Staatsdomänen)

  • Staatsbesitz und -beteiligungen an Unternehmen (von Automobil bis Versorger)

  • Wirtschaftsforschungsinstitute

  • und erhebliche Teile des sozialen Sektors.

Wenn der Staat als Unternehmer tätig ist, muss er sich auf dem Markt im Wettbewerb behaupten. In schlechter etatistischer Tradition waren solche Staatsunternehmen, wie die Post oder die Bahn, in der Regel defizitär. Ihre Privatisierung und der Betrieb unter Konkurrenzdruck führte zur Sanierung und machte sie rentabel. Zugleich wuchsen die Kundenorientierung und die Innovationsbereitschaft, allerdings vorwiegend durch Wettbewerbsdruck von außen und weniger als möglich aufgrund der monopolartigen Stellung. Diese Entwicklung muss aus liberaler Sicht konsequent weiter geführt werden. Beim Bau und Betrieb von Unternehmen können auch Joint ventures zwischen Privatunternehmen und dem Staat für eine Erhöhung der Effizienz sorgen. Als Beispiel sei die LKW-Maut der Autobahnen genannt.

Gemeindeforste sind in heutiger Zeit Einkommensquellen für die Städte und Gemeinden. Doch Verkäufe sind problematisch. Bei einem Verkauf kann nicht der voraussichtliche zukünftige Gesamtgewinn auch nach Abzug des Urzinses erlöst werden, und wird daher immer strittig sein. Verkäufe können der Gemeindemehrheit werter erscheinen, wenn sie die Möglichkeit größerer Bauvorhaben, z.B. einer Freizeitanlage, eröffnen, die anders nicht zu finanzieren wären. In der Regel nützen in einer freien Marktwirtschaft Privatunternehmen dem Verbraucher am besten, weil diese am effizientesten für die Erfüllung seiner dringendsten Bedürfnisse sind. Die Verpachtung von von öffentlichen Forsten ist ein gangbarer Weg, der die Konflikte auf dem Weg des Kompromisses löst.

Die Sektoren staatlicher Interventionen sind zahllos:

  • Geld- und Währung sowie Staatsschulden

  • Sozialbereich

  • Zugangsregelungen für den Markteintritt von Unternehmern

  • Außenhandels- und Devisenregelungen

  • Besteuerung von Gütern wie Energie, Treibstoff usw.

  • Subventionen wie z.B. Kindergeld oder Befreiung von Abgaben nach dem EEG

  • Migrationsbeschränkungen

  • Eingriffe in den Arbeitsmarkt

  • Informationsmedien wie staatliches Fernsehen

  • Sprach- und Quotenregeln für Gruppen

  • Kirchen und religiöse Bekenntnisse

  • Kunstförderung

  • Inhaltliche Lenkung von Forschung

  • Bildungsinhalte

Die Liste ist unvollständig. Insbesondere die Themen Soziales und Währung erfordern eine eigenständige Erörterung, die nachfolgend ausgespart bleibt. In wirtschaftlicher Hinsicht sind staatliche Eingriffe immer illegitim, wenn sie den einen Vorteile auf Kosten aller anderen verschaffen. Eine Pendlerpauschale ist unverhüllte Umverteilung und nicht legitim. Das gleiche gilt für Mindestlöhne, die die wirtschaftliche Freiheit einschränken und gerade denen schaden, für die sie gedacht sind. Die Beispiele für unstatthafte staatliche Eingriffe in die Freiheit der Bürger sind unüberschaubar.

In seltenen Ausnahmen verschaffen sie auch Vorteile für Einzelne, die gleichzeitig auch für alle Verbraucher Vorteile beinhalten. So ist das Urheberrecht auf Bücher die Grundlage für einen funktionierenden breiten Büchermarkt. Seine Abschaffung würde sowohl den Schriftsteller als auch den Leser schädigen. Aber in der Regel stiften Interventionen keine Win-win-Situationen, sondern Nullsummenspiele oder sogar Lose-lose-Situationen. Nur angesprochen werden kann an dieser Stelle, dass zahlreiche Eingriffe und Regulierungen das Resultat von Unternehmen und Verbänden sind, die damit Sondervorteile anstreben.

Derartige Interventionen sind schwere Verstöße des Staates gegen das Prinzip der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Neutralität. Sie sind Merkmale eines Gesinnungsstaates und latent autoritär. Überdies erzielen sie in der Regel andere Resultate als die erwünschten Ziele. Staatliche Einflüsse auf die Wirtschaft sind nur zu rechtfertigen, wenn sie überwiegend dem Allgemeinwohl dienen und keine Umverteilung der Mittel zwischen den Bürgern beinhalten. Sie sind illegitim, wenn sie die Autonomie des Bürgers beeinträchtigen oder gar entkräften. Entweder handeln die Bürger oder es handelt der Staat respektive die Staatsangestellten, entweder plant der Einzelne oder der Staat. Diese Eingriffe in die materiellen und geistigen Verhältnisse entmündigen den Bürger. Sie folgen Leitideen, die einem bestimmten Wertsystem verpflichtet sind, das nicht allgemeingültig sein kann. Es ist ein Eingriff in die Autonomie des Bürgers, wenn seine Kinder in den öffentlichen Schulen im Sinne bestimmter Ideologien, etwa des Feminismus oder Ökologismus, indoktriniert werden.

Die Sektoren dieses vierten Bereichs beinhalten die unzulässigen staatlichen Aufgaben.

Fazit und Perspektive

Herausragende Aufgabe unserer Zeit ist es, die Vorstellungen von den Aufgaben des Staates und ihrer Legitimität vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Das ist zunächst eine geistige, aber auch eine praktische Aufgabe. Private Alternativen zu staatlicher Tätigkeit finden sich weltweit und auch dort, wo man es nicht vermutet, etwa in Skandinavien (Privatisierungen), in Georgien (Gesundheitswesen) oder in Chile (Rentensystem). In den allermeisten Lebensbereichen, die Produktion von Sicherheit und damit klassische hoheitliche Aufgaben ausgenommen, würde die private Initiative zu Innovationen und besserer Qualität führen. Der Zustand der Ämter – gerade im Vergleich mit privatwirtschaftlichen Dienstleistern – spricht Bände. Die Institutionen sind (mindestens seit Adam Smith) der bekannte Schlüssel für den Wohlstand und den Niedergang von Nationen. Und dieser Wohlstand schließt auch ein Leben in guter Gesundheit ein, besteht also in mehr als dem „nur“ Materiellen. Eine Herausforderung stellt der Übergang dar; das gilt in mentaler Hinsicht und für den ungebrochenen Reformprozess selbst. Der Liberalismus steht für den evolutionären, nicht für den revolutionären Weg. Erforderlich sind dafür nicht zuletzt neue Verfassungen oder deren Anpassung. Das gilt etwa für die Währung, aber auch für eine echte Gewaltenteilung und wirksame Kontrolle durch Volksvertreter. Insofern können die vorstehenden Überlegungen nur als Denkanstoß dienen. Sollten sie das tun, wäre bereits viel gewonnen.

1 Mises: Nationalökonomie, Genf, 1940, S. 135.