Populismus – warum jetzt?
Populismus – warum jetzt?

Populismus – warum jetzt?

Gleich mehrere überzeugende Gründe fallen mir ein, um die Entstehung und Ausbreitung des Populismus zu erklären.

  1. An erster Stelle steht für mich Politik- und Staatsversagen, das Krisen verursacht und Unsicherheit schafft. Das politische Führungspersonal ist heute vollkommen überfordert und der Staat hat sich verausgabt – ein fetter Staat ist nicht fit und kommt nicht einmal seinen Kernaufgaben hinreichend nach, also dem Schutz der Bevölkerung. In angemaßten Aufgabenfeldern herrschen ruinöse Zustände: immer mehr Schüler machen Abitur und sind zugleich Bildungsruinen.
  2. Offensichtlich macht die Parteienpolitik der Mitte Platz für Alternativen. Da die Mitte nach herkömmlichen Bezeichnungen des Parteienspektrums links liegt, tut sich rechts eine große Leere für Millionen Wähler auf. Zudem läuft das sozial-demokratische Modell der Nachkriegszeit aus. Der Sozialdemokratismus oder Wahlfahrtstetatismus erweist sich als untauglich, um die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu meistern. In Deutschland rückt die seit einem Jahrzehnt sozialdemokratisierte CDU wieder ein wenig zur Mitte.
  3. Hinzu kommt drittens ein beträchtlicher Strukturwandel, der allerdings in Deutschland weniger stark als in den USA den industriellen Sektor betrifft. Ein geistiger Strukturwandel besteht in einer veränderten politischen Geisteshaltung. Die linke Generation der 68er läuft aus, ihre Ideen sind Allgemeingut geworden oder aber inzwischen unzeitgemäß. Es gibt zwar nach wie vor einen Angriff auf Eigentum, Familie und Religion, aber auch eine Gegenbewegung identitärer Bewegungen.

In jedem Fall gerät die liberale Idee und mit ihr die freiheitliche Ordnung weiter unter Druck. Leider ist die Demokratie zum System des Stimmenkaufs und zum politischen Unterhaltungstheater degeneriert. Die etablierten Medien bieten die Bühne für die Märchen Gemeinwohlorientierung und repräsentative Demokratie.

So weit so schlecht. Allerdings überzeugen mich diese Sichtweisen schlussendlich nicht. Es lohnt sich nach weiteren Erklärungen Ausschau zu halten. Hier sind zwei vielversprechende zur Ergänzung:

Goodhart: weltfremde pseudoliberale Oberschicht

David Goodhart ist Gründer des britischen Magazins Prospect und Abteilungsleiter in Think Tank Policy Exchange. Der Londoner Journalist diagnostiziert eine wachsende Wertekluft zwischen den „Anywheres“ und den „Somewheres“. Erstere sind gut ausgebildete, mobile und erfolgreiche Menschen, die überall parkettsicher auftreten.

Letztere sind stärker verwurzelte, weniger gut ausgebildete Menschen, die sich durch Orts- und Gruppenzugehörigkeit kennzeichnen lassen. Die bis zu 25% „Anywheres“ dominieren Politik und Gesellschaft. Das Ergebnis: Abwertung der Berufsausbildung und Lehrlingsberufe, Förderung der Masseneinwanderung, Förderung der Berufstätigkeit von Frauen, Überdehnung von EU und Euro, kurzum eine Interessenpolitik einer pseudo-liberalen, kosmopolitischen Oberschicht im Namen des Landes. Übersehen wurde bislang, dass die „Somewheres“ eigene Interessen haben, die weder intolerant noch fremdenfeindlich sind und sich nicht mit denen der Kosmoliberalen decken.

Im Grunde handelt es sich um ein neuerliches Ideologieproblem – Interessenpolitik mit der Gemeinwohlformel versehen.
Notwendig ist für Goodhart ein Ausgleich zwischen den beiden Interessengruppen. Aus liberaler Sicht ist eine Begrenzung der politischen Macht notwendig und der Rückzug auf den liberalen Rechtsstaat. Lasst die Menschen selbst entscheiden und ihr Leben führen.

O’Sullivan: Antiliberalismus als Antwort auf Antidemokratismus

Der frühere Chefredakteur von Radio Free Europe und Redenschreiber Margaret Thatchers diagnostiziert eine zunehmende Machtverschiebung, weg von gewählten Institutionen, insbesondere den Parlamenten, hin zu teilweise unabhängigen, nicht gewählten EU-Bürokratien. Eine zentrale Verantwortung für diesen Prozess trage für John O’Sullivan nationale Politiker, die ihre Interessen durch das Spiel über EU-Bande verfolgt und Wählerinteressen ignoriert haben.

Das Ergebnis sei mit John Fonte eine Postdemokratie. Populismus sei eine antiliberale, demokratische Antwort auf das undemokratische Gebaren der Eliten, gleichsam eine Re-Politisierung. Zudem sei die Demokratie zu einem Statusspiel verkommen. Es komme nur noch auf ein gutes (Status-)Gefühl bei den gewählten Kandidaten an. Inhalte spielten eine nachrangige Rolle.
O’Sullivans Perspektive rückt die Problematik des Anti-Establishments ins Blickfeld und die hysterischen Reaktionen des politischen und medialen Establishments a la Scheitert der Euro, scheitert Europa oder Soziale Medien seien eine Quelle von Fake News.

Fazit

Alle Erklärungen haben etwas gemeinsam: Politik ist das Problem und nicht die Lösung. Das muss sich ändern, auf zweierlei Weise: Erstens weniger Politik wagen. Zweitens mehr politische Alternativen schaffen.