Nationalstaat und Separatismus
Nationalstaat und Separatismus

Nationalstaat und Separatismus

von Helmut Krebs

Separatistische Bewegungen finden in Europa vermehrt Aufmerksamkeit. Unlängst scheiterte eine Abstimmung in Schottland. Der verdeckte Krieg russischer Kräfte gegen die Ukraine und die Annexion der Krim werden als Erfolge eines Separatismus russischer Bevölkerungsgruppen ausgegeben. Diese und andere Bewegungen finden die Sympathie vieler Libertärer.

Nationalstaat

Die Idee des Nationalstaates ist geschichtlich noch recht jung. Zunächst vergesellschafteten sich Familienverbände in Stämmen, die durch Verwandtschaft sowie tradierte Konventionen und Glaubensüberzeugungen gebunden waren. Das Mittelalter bildete einen Ständestaat, der Absolutismus den Fürstenstaat. Gebiete waren Grundeigentum des Fürsten, einschließlich der Untertanen, die in Folge von Krieg, Erbe und Heirat, aber auch durch Schacher verschoben und übertragen wurden.

Erst mit dem Aufkommen liberaler Staatsideen wurde die Volkssouveränität an die Stelle der fürstlichen Willkürherrschaft gestellt. Die Macht der Regierung wurde gedacht als eine vom Volk und seinen Vertretern übertragene zeitweilige Befugnis, die reversibel und stets aufs Neue durch Willensakte des Volkes legitimiert werden musste. Es war die Idee der Volkssouveränität, die die Idee eines politischen Volkes schuf.

Die Einheit von Gebiet, Verfassung und Volk wurde über das Prinzip der Staatszugehörigkeit organisiert. Der Begriff der Nation umfasst genau diese drei, wobei die Frage, welche Menschen zum Volk zu rechnen sind und politisch mündig zunächst aus dem Eigentum beantwortet wurde.

In Anlehnung an die Adelstitel Englands, die an einen Sitz gebunden sind, wurden als Bürger Grundbesitzende angesehen, erst später alle männlichen Erwachsenen, die frei waren, schließlich alle Erwachsenen einschließlich der Frauen.

In den Kernländern des liberalen Gedankens, in England und Frankreich, war die Definition der Nation nicht schwierig. Seinem Wesen nach war der Liberalismus international orientiert. Er hatte den Welthandel der Seefahrt, den Import und Export der Industriegüter im Sinn und lehnte wirtschaftliche Schranken nach innen und außen ab.

Freiheit war Offenheit, eine wirtschaftliche offene und politisch tolerante Gesellschaft. Als aber der Freiheitsgedanke Deutschland (insbesondere Österreich-Ungarn und Preußen) und Italien erfasste, traten Schwierigkeiten auf, die zu einer Reibung des nationalen und des freiheitlichen Ideengutes führten. Beides waren Nationen, die in viele Staaten zersplittert waren, von denen die größeren wiederum verschiedene Nationen in sich vereinigten. Die Einheit von Staatsgebiet und Volk war problematisch.

Nationalitätenprinzip

Der deutsche Liberalismus verband Anfang des 19. Jahrhunderts die Hoffnung auf eine freie Gesellschaft mit der auf eine nationale Einigung. Nur deshalb gelang es der Kraft, die die nationale Einigung erringen konnte, nämlich Preußen, und zwar ganz und gar nicht freiheitlich, seinen Etatismus an die Stelle des Liberalismus zu setzen und diesen schließlich im Verbund mit sozialistischen Ideen zu verdrängen.

Hintergrund dieser historischen Niederlage der Freiheitlichen war die Tatsache, dass weite Gebiete Preußens von Menschen polnischer Sprache besiedelt wurden, die nun preußische Staatsbürger wurden.

Die ungebildeten Massen der polnischen Landbewohner zögerten nicht, als Soldaten auf deutsche Liberale zu schießen (1848) und bildeten als Wähler ein mächtiges Potenzial der nationalen Reaktion war.

Die Demokratisierung, also die Verbreiterung der Wählerschaft, verdrängte den Einfluss der Liberalen, die es nicht vermochten, sich einen Rückhalt in der öffentlichen Meinung zu bewahren.

Im Zuge dieser Bewegung zur nationalen Einigung entstand die nationale Bewegung, die für das Prinzip der Einheit der Nation eintrat. Wenn aber Volk und Staatsgebiet nicht durch Herkunft klar umrissen sind, wie soll dann eine Ordnung gefunden werden? Einzig ein Kriterium bietet sich an, wenn auch mit Schwierigkeiten, als Ordnungsprinzip zu fungieren: Die Sprachzugehörigkeit. So wurde die Forderung der nationalen Bewegung laut: Ein Volk, eine Sprache, eine Nation.

Was einfach zu sein scheint, wirft häufig unlösbare konkrete Probleme auf. So gibt es Nationen, deren Volk mehreren Sprachfamilien angehört, ohne dass die Zugehörigkeit zur Nation in Frage steht, z.B. Beispiel die Schweiz. Andere Völker leben in verschiedenen Staaten. Die Österreicher sprechen nicht mehr oder weniger Deutsch als die Preußen. Aber der Wille, sich zu einem Staat zu vereinigen, war niemals so stark ausgebildet, dass Großdeutschland eine echte Chance zur Verwirklichung hatte.

Die Liberalen sahen ihren Feind nicht in den Angehörigen anderer Nationen, sondern in den Herrschern, die oftmals eine andere Sprache sprachen. Der liberale Nationalismus war durchaus friedlich.

Die Völker Europas sahen sich als natürliche Verbündete im Kampf um die Freiheit. Nun aber begann der Nationalismus die Denkweise zu vergiften, indem er im Fremden, im Ausländischen und Anderssprechenden den Gegner erblickte. „Der Liberalismus, der volle Freiheit der Wirtschaft fordert, sucht die Schwierigkeiten, die die Verschiedenheit der politischen Einrichtungen der Entwicklung des Verkehres entgegenstellt, durch Entstaatlichung der Ökonomie zu lösen.

Er strebt nach möglichster Vereinheitlichung des Rechtes, in letzter Linie nach Weltrechteinheit. Doch er glaubt nicht, dass man, um dieses Ziel zu erreichen, große Imperien oder gar ein Weltimperium schaffen müsse.“ (Ludwig von Mises: Nation, Staat und Wirtschaft, S. 30) Während der Liberalismus internationalistisch und antietatistisch orientiert ist, sieht der Nationalismus zwei Wege: Die Schaffung eines Imperiums, in dem ein Volk andere Völker unterwirft, oder den Separatismus, um sprachhomogene Gebiete zu schaffen. In Deutschland gewann der Imperialismus die Oberhand. Er führte zu den beiden Weltkriegen. Österreich-Ungarn zerbrach am Separatismus der Ungarn, Tschechen und anderer Nationalitäten.

Separatismus

Der Separatismus ist ideengeschichtlich folglich ein Kind des Nationalismus. Er beinhaltet nicht nur die Abtrennung von Gebieten, in denen mehrheitlich ein Volk lebt, das im Ganzen eine Minderheit darstellt. Er schließt auch den Gedanken der ethnischen Säuberung in sich ein.

War für die Ungarn oder Tschechen damals das Deutsch als Schulsprache ein Problem, so wird in einem abgetrennten Gebiet, in einem neuen Nationalstaat für die verbliebene deutsche Minderheit nun die ehemalige Minderheiten-Sprache ein Problem.

Separatistische Bewegungen führen häufig zu Bürgerkriegen, wie im ehemaligen Jugoslawien. Diese können spontan aus dem unterdrückten Hass auf die ehemals herrschende Gruppe losbrechen. Nationale Minderheiten sind aber auch ein Nährboden für eine imperialistische Destablisierungspolitik von außen.

Die Unterdrückung der ethnischen Minderheit wird als Brennstoff zum Anheizen von Rebellionen durch radikale Kräfte ausgenutzt, die von ausländischen Staaten unterstützt werden. So geschehen bei den Sudetendeutschen in Westtschechien vor 1938 und heute in der Ostukraine bei der russischen Minderheit.

In diesem Zusammenhang wird aus einer separatistischen Bewegung ein Instrument äußerer Aggression und der Befreiungskampf einer unterdrückten Minderheit zu einem Vorwand, um schließlich zu einer Umstülpung der Herrschaft und der Unterdrückung der ehemaligen Mehrheit zu kommen. Separatismus wird hier zum Werkzeug eines Imperialismus.

Separatismus und Liberalismus heute

Der Separatismus in den hochentwickelten westlichen Ländern Europas wird heute aus nationalistischen Ideen heraus betrieben. Ziel ist es, als höher entwickelter Teil sich vom Rest zu trennen, damit die wirtschaftlichen Erträge nicht über Besteuerung in ärmeren Gebiete der Nation fließen.

Dies ist die Idee der Lega Nord in Italien, der Südtiroler Separatisten. Dies klingt auch in der Diskussion des Länderausgleichs in Deutschland an. Es ist hier nicht der Ort, in diese Frage tiefer einzutreten. Wichtig ist nur zu begreifen, dass die Ideen dieser Bewegungen und Strömungen keinesfalls liberal sind. Die Frage, ob in den abzutrennenden Gebieten mehr oder weniger Freiheit in Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben herrschen soll, spielt kaum eine Rolle.

Ein separiertes Norditalien kann sich unter der Führung der postfaschistischen Lega Nord durchaus zu einem Halb- oder Dreiviertelsozialismus, die Demokratie zu einer totalitären Verfassung entwickeln.

Aus liberaler Sicht, ist der Separatismus im hochentwickelten Europa heute vor allem als eine Reaktion auf die Bildung undemokratischer und nicht-legitimer supranationaler Strukturen der EU und des Euro-Währungsverbunds interessant.

Die Kritik, auf diesem Weg zu einer Supermacht der Vereinigten Staaten von Europa zu gelangen, ist berechtigt. Nur bietet der Separatismus keine feste Grundlage für die Formulierung einer liberalen Zielvorstellung.

Bei der Kritik der Monstren EU und Euroverbund darf nicht der Liberalismus gegen den Nationalismus ausgespielt werden. Das klassisch-liberale Programm ist die Entstaatlichung der Wirtschaft einerseits und anderseits die Entwicklung von internationalem Recht, das die Option des Krieges immer stärker verdrängt. Nicht der Supranationalismus als solcher ist das Übel, sondern der etatistische Impetus seiner Betreiber, die Form, in dem die Internationalisierung vonstatten geht.

Das Liebäugeln mancher Libertärer mit separatistischen Bewegungen ist undurchdacht und gefährlich. So lange keine klaren liberalen Zielvorstellungen formuliert sind und von einer kräftigen Massenströmung unterstützt werden, wird der Separatismus zu einem Spiel mit dem nationalistischen Feuer.

So etwa in Schottland 2014. Vor allem auf die Formulierung klarer liberaler Zielvorstellungen kommt es auch in der Kritik von EU und Euro-Verbund an. Austreten? Gewiss. Aber dann? Wie sollen die Währungsfrage gelöst werden, wie die Internationalisierung des Rechts vorangetrieben werden und wie soll eine wirksame Verteidigung gegen äußere Aggressoren aussehen? Diese Fragen müssen zuallererst aufgegriffen werden. Nur wer sie beantworten kann, kann auch in seiner Kritik am etatistischen Supranationalismus Gehör finden.