Migrationsirrtum
Migrationsirrtum

Migrationsirrtum

Unter dem Titel Was für offene Grenzen spricht stellt Nina Fargahi in der NZZ das Buch des Philosophen Andreas Cassee „Globale Bewegungsfreiheit“ vor. Eine zentrale Aussage lautet: „Es sei ethisch nicht vertretbar, dass die zufällige Herkunft einer Person für deren künftiges Leben ausschlaggebend sei.“ und weiter „Das Recht eines Landes, sich wie ein exklusiver Klub zu verhalten, der gewissen Menschen den Einlass verwehrt, entpuppt sich als illiberal und elitär.“
Mit Blick auf den Schlachtensee und den noch nicht ganz nahen, aber absehbaren Frühling fällt mir dazu nur ein: ganz dünnes Eis. Die Herkunft einer Person ist in vielerlei Hinsicht für das künftige Leben ausschlaggebend. Das fängt mit den Eltern und deren Genen an und endet nicht mit der wirtschaftlichen Lage des Elternhauses. Es handelt sich um die alten Irrtümer „soziale Gerechtigkeit“ und „Chancengleichheit“. Erweitern wir die Perspektive, so stellt sich unmittelbar die Frage, ob gar ein Anspruch auf eine zufällig neu ausgewählte Heimat bestehen soll und ob die dort zufällig lebenden Menschen etwa die Pflicht hätten, jedermann aufzunehmen. Wohl kaum! Es ist das alte Spiel, Ansprüche ich Anrechte verwandeln zu wollen, wobei nur die eine Seite betrachtet wird – alles für denjenigen, dem es besser gehen soll.
Natürlich hat ein Land, genauer haben die Bewohner respektive ihre Regierung, das Recht, sich wie ein exklusiver Klub zu verhalten. Das private Diskriminieren ist Teil der Freiheit und gerechtes Alltagshandeln. Staatliches Diskriminieren ist innenpolitisch im liberalen Sinne unrechtmäßig, aber außen- und sicherheitspolitisch geboten – keine Grenze, kein Staat. Im Einzelnen:

  1. Die wichtigste liberale Aufgabe des Staates lautet: für Sicherheit sorgen. Diese hoheitliche Aufgabe lässt sich mit offenen – unkontrollierten – Grenzen nicht erfüllen. Sowohl unter sicherheitlichen als auch ökonomischen Gesichtspunkten ist eine Auswahl der Zuwanderer sinnvoll.
  2. Bislang ist weder eine auf das Ausland gerichtete Responsibility to Protect (R2P) moralisch oder rechtlich solide begründet geschweige denn völkerrechtlich anerkannt, noch gilt das für ein auf das Inland zielendes Pendant, das als Responsibility to Prosper bezeichnet werden kann.
  3. Es gibt offensichtlich quantitative, aber auch qualitative Grenzen für eine Zuwanderung. Eine einseitige ökonomische Betrachtung unbestrittener Migrationsvorteile ignoriert die politische Dimension, darunter Spannungen zwischen Migranten und Einheimischen, Spannungen unter Migranten – nicht zuletzt mit bereits etablierten Migranten – und beträchtliche sicherheitliche Probleme; aktuelle Beispiele sind der freiheitsfeindliche Islamismus, der mörderische Jihadismus, das Ausspionieren von Bürgern (Stichwort: Ditib und Gülen) und Ausschreitungen, z.B. in französischen Banlieus, ferner englische Riots, schließlich auch deutsche No Go Area.
  4. Haben die Menschen der Welt und insbesondere „gewisse Menschen“ (s.o.) kein Anrecht die Clubgüter anderer Staaten zu nutzen. Mit gleichem Recht ließe sich der Anspruch formulieren, statt abzuwandern müssten die Migranten ihre heimatlichen Institutionen verbessern. Insbesondere gilt es zu unterschieden zwischen Flüchtlingen, Migranten und EU-Bürgern, daneben derzeit rechtlich bedingt Asylanten, Kontingentflüchtlingen und Geduldeten.
  5. Assimilation misslingt regelmäßig und hat strukturelle Gründe: Zuwanderung erfolgt von armen Ländern in reiche und dort in bestehende Diasporas, die regelmäßig zu Parallelgesellschaften werden. (Institutionell bedingte) Kulturunterschiede zu ignorieren, wäre unredlich. Der Clash of Cultures in deutschen Innenstädten ist unübersehbar. Wer sich mit den Herkunftsregionen beschäftigt wird Integration vielfach für Wunschdenken halten, zumal es nicht einmal für die vierte Generation der sogenannten Gastarbeiter eine Integrationsstrategie gibt von erfolgreichen Werkzeugen zu schweigen.

Die angeführten Argumente richten sich offenkundig weder gegen Nothilfe noch gegen Hilfsbereitschaft; sie stehen einem Plädoyer für den friedlichen Austausch der Kulturen, Reisen und internationaler Arbeitsteilung nicht entgegen.
Wer indes bedingungslos für offene Grenzen eintritt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, grenzenlos naiv zu sein. Wir leben nicht in einer liberalen Welt, dann würde es keine neue Völkerwanderung geben. Und der Weg von einer guten Theorie zu einer tragfähigen Praxis ist realiter ein langer, voraussetzungreicher Prozess.