Ein Ausweg aus schlechtem Journalismus: konsequentes Denken
Ein Ausweg aus schlechtem Journalismus: konsequentes Denken

Ein Ausweg aus schlechtem Journalismus: konsequentes Denken

Auf der ersten Seite der Sonntagsausgabe des Tagesspiegels ist ganz rechts ein Leitkommentar abgedruckt mit der Überschrift: Konjunktur. Mehr Mut zum Investieren. Die Journalistin Carla Neuhaus argumentiert darin wie folgt:

  • In Deutschland zeichne sich ein Ende des Aufschwungs ab.
  • Die Politik müsse gegensteuern.
  • Die Politik habe in den guten Zeiten der vergangenen Jahre viel Geld für Wahlgeschenke ausgegeben, die der Konjunktur nichts gebracht hätten.
  • Die Politik habe zu wenig investiert, v.a. in Infrastruktur, aber auch in Künstliche Intelligenz und Elektromobilität.
  • Die Politik brauche jetzt „den Mut mehr Geld auszugeben“ für Schiene, Straße, Mobilfunk.
  • Leider achte der Bundesfinanzminister auf einen ausgeglichenen Haushalt, er spare und tue „das Gegenteil von dem, was jetzt nötig wäre“.
  • Man müsste jetzt investieren, sonst bremse das die Wirtschaft.

Mit wurde der Artikel empfohlen. Ich habe während und nach der Lektüre gedacht: Au weia. Warum? Weil die Argumentation inkonsequent ist und ökonomisch kontraproduktiv, vielleicht auch, weil sie dem Common Sense entspricht.

  1. Die Politiker haben tatsächlich in guten Zeiten Geld für ihre Klientel und ihre Interessengruppen ausgegeben. Warum sollte ein Aufruf daran etwas ändern? Politiker handeln, wie Ökonomen wissen, unter Anreizbedingungen, und die begünstigen kurzfristiges Denken und Handeln sowie Konsumausgaben. Politikversagen ist Alltag.
  2. Es erscheint freundlich gemeint naiv, nach dem jahrelangen Versagen der Politik ausgerechnet von der Politik eine Verhaltensänderung erwarten zu können. Es mag utopisch klingen, ist aber tatsächlich realistischer als eine politische Verhaltensänderung, nämlich die Forderung, jemand anderen das Geld ausgeben zu lassen. Wen? Die Bürger und Unternehmen.
  3. Wer hat das Wissen welche Infrastruktur benötigt wird und wie diese errichtet werden kann: A. Die Politik und die Staatsbürokratie? oder B. Unternehmen und Konsumenten auf Märkten? Wer A. sagt, sollte noch einmal in die Grundlagen der Politischen Ökonomie hineinschauen und sich anschließend mit der Wirtschaftsgeschichte der DDR beschäftigen.
  4. Als Konjunktur wird die gesamtwirtschaftliche Lage bezeichnet, insbesondere die Zu- und Abnahme der wirtschaftlichen Tätigkeiten. Eine ununterbrochene Zunahme der wirtschaftlichen Tätigkeit ist weder normal noch wünschenswert, gerade dann wenn der Staat diese künstlich anfachen soll. Strukturwandel, veränderte Außenhandelsbedingungen und Anpassungen benötigen Zeit; sie münden immer wieder in als krisenhaft wahrgenommene Anpassungsphasen, die für einen neuerlichen Aufschwung notwendig sind.

Wenn also Politiker mit vermeintlichen Wahlgeschenken, die eine Klientel bedingte Rückgabe von Steuern und Abgaben darstellen, verfehlterweise die Konjunktur befeuert haben, dann sollten sie keineswegs erneut im Namen von Investitionen dazu aufgerufen werden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dieses Mal würde es besser werden.

Wir benötigen jederzeit eine bessere Infrastruktur. Wir benötigen jederzeit eine bessere Politik. Wir können erfolgreicher mit einer besseren Infrastruktur und gleichzeitig mit schlechter Politik leben, wenn diese für so wenig wie irgend möglich zuständig ist.

Was bleibt? Konsequentes Denken. Entweder als Appell in Anlehnung an Willy Brandt (Mehr Mut wagen). Dann bitte als Predigt für bessere Politiker, die dem politischen Ebenbild des ehrbaren Kaufmanns entsprechen. Oder ein Vorschlag zur Verbesserung der politik-ökonomischen Lage. Das bedeutet, den Politikern das Geld wegzunehmen, damit nicht noch mehr Desaster wie Stuttgart 21 und BER frühestens ’21 passieren. Schon Karl Schiller, einer der ersten Befürworter des seit seiner Einführung 1967 auf ganzer Linie gescheiterten Stabilitätsgesetzes wusste: Gas geben funktioniert, nur bremsen nicht.
Michael von Prollius