2016 wird das beste Jahr der Menschheitsgeschichte
2016 wird das beste Jahr der Menschheitsgeschichte

2016 wird das beste Jahr der Menschheitsgeschichte

Gastbeitrag von Simon Scherrer

Verarmung! Verelendung! Ungleichheit! Gewaltexplosion! Der Jammerklang des Weltuntergangsblues beklagt dutzende Gründe, an denen unsere Welt derzeit zu zerbrechen scheint, und er klingt an vielen Orten: in Online-Diskussionen, in den Politikecken der grossen Buchläden, sowohl in der akademischen Diskussion als auch im „gesunden Menschenverstand“ der Stammtischgespräche. Die Pessimisten sind zahlreich und sie sind überzeugt: Unsere Welt wird schlechter. Schön, dass sich unsere Welt nicht darum kümmert. Denn sie wird besser, von Jahr zu Jahr. Und sie wird auch nächstes Jahr besser werden.
„Aus einem Grund, den ich nie ganz verstand, wollen die Menschen glauben, dass unsere Welt zugrunde geht“, schreibt die Wirtschaftshistorikerin Deirdre McCloskey in ihrem empfehlenswerten Werk Bourgeois Dignity. Die Neigung unserer Mitmenschen zum Pessimismus ist in der Tat erstaunlich. Die Rhetorik der Verelendung beispielsweise zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der politischen Linken, von den Manifesten aus den Federn von Marx und Engels bis hin zu den Medienmitteilungen des Gewerkschaftsbunds. Auch für die politische Rechte zerbröselt stets die Moral, verarmt die angestammte Bevölkerung aufgrund der Einwanderung oder versinkt die Welt in Kriegen zwischen nicht vereinbaren Kulturen. Und bis weit hinein in die Mitte der Gesellschaft gilt es als Zeichen persönlicher Reife, sich damit abzufinden, dass die Welt schlecht ist und höchstens schlechter wird.
Vielleicht ist es ja Teil unseres evolutionären Programms, immer mit den Schlimmsten zu rechnen. Und vielleicht beeinflussen die Medien die öffentliche Wahrnehmung hin zum Pessimismus, weil sich Skandal und Katastrophen besser für Schlagzeilen eignen als kleine Fortschritte. Was auch die Gründe für den tief verwurzelten Pessimismus in unserer Gesellschaft sein mögen, er existiert. In einer Umfrage der Gapminder-Stiftung aus dem Jahr 2013 wurde die Frage gestellt, wie sich die absolute Armut auf der Welt in den letzten 30 Jahren entwickelt habe. 58% der Teilnehmer glaubten, dass die absolute Armut gestiegen sei, 33% glaubten, dass sie gleich geblieben sei, und nur 10% glaubten, dass sie gesunken sei1.
2016-Misconception
Die schlechte Nachricht daran: Über 90% liegen falsch.
Die gute Nachricht daran: Über 90% liegen falsch!
Tatsächlich hat sich in den letzten Jahrzehnten, fernab der öffentlichen Wahrnehmung, Grossartiges ereignet. Im Jahr 1980 lebten noch 44% der Weltbevölkerung in extremer Armut, also hatten weniger als $ 1.90 (Kaufkraft von 2011) pro Tag zur Verfügung. 1990 lag dieser Anteil immer noch bei 37%. Ende dieses Jahres sank dieser Anteil jedoch erstmals unter 10%2. Unser globalisiertes Zeitalter erlebt also alles andere als eine Massenverelendung. Im Gegenteil, extreme Armut sinkt rapide und stetig.
2016-ExtremeArmut
Absolute Armut stiftet also immer weniger zum Pessimismus an. Doch die Ungleichheit, mahnen die überzeugten Pessimisten, die wachse! Das mag für einzelne Länder stimmen. Weltweit präsentiert sich aber ein anderes Bild: Während sich noch 1970 ein tiefer Graben zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zog, ist dieser heute verschwunden3. Auch in der Schweiz sanken im letzten Jahrzehnt die Lohnunterschiede4, die Unterschicht schrumpfte, Mittelstand und Oberschicht wuchsen5.
2016-Einkommensverteilung
Eine andere Sorte von Pessimisten wiederum beklagt nicht das vermeintliche Fehlen von Wohlstand, sondern dessen Wachstum. Die Menschheit würde materiell reicher, aber zivilisatorisch ärmer. In einer bescheidenen Form führe das zur geistlosen Konsumkultur, in der gefährlichen Form zu immer mehr Gewalt und Konflikten. Beides stimmt nicht: Populärkultur war schon immer banal, auch in ärmeren Gesellschaften. Was in Museen, Gelehrtenbibliotheken und Klosterarchiven die Jahrhunderte überdauerte, war das Nicht-Banale und Ausserordentliche, was uns eine verzerrte Wahrnehmung früherer Kultur vermittelt. Im Gegenteil erlaubt der massive Wohlstandsgewinn dank der Marktwirtschaft das Dasein so vieler Künstler wie nie zuvor: Der Ökonom Tyler Cowen schätzt, dass es 1998 auf der Welt mehr Künstler gab als zu allen Zeiten zuvor zusammengezählt6.
Die Nostalgiker irren auch, wenn sie glauben, dass die Welt früher friedlicher war. Der Harvard-Psychologe Steven Pinker wurde bekannt, indem er aus einem Fundus von archäologischen, ethnographischen und kriminologischen Erkenntnissen die Geschichte menschlicher Gewalt zusammensetzte – mit erstaunlichen Schlussfolgerungen: Egal, ob man Kriegstote, Mordraten oder andere Gewaltdelikte anschaut, wir leben in einer der friedlichsten Perioden aller Zeiten.
2016-Mordraten
All das zusammengenommen, ergibt sich eine einfache, aber doch wenig bekannte Wahrheit: Unsere Welt verbessert sich, Jahr für Jahr, dank Marktwirtschaft, Globalisierung und Freihandel. Kaum ein Indikator verbessert sich nicht.
Manche finden eine solche Aussage zynisch, angesichts all der Armut, Ungerechtigkeit und Gewalt, die es in unserer Welt nach wie vor gibt. Sie zielen mit ihrem Vorwurf ins Leere. Der Optimist behauptet gar nicht, dass es kein Übel mehr auf der Welt gibt, sondern er begegnet dem verbleibenden Übel zuversichtlich statt resigniert – und damit umso engagierter. Die Unzufriedenheit des Pessimisten hingegen drängt diesen nicht zum Engagement, sondern zum Fatalismus oder sogar zum Verhöhnen kleiner Erfolge. Alle Verbesserungen, für die Menschen überall auf der Welt ein Leben lang arbeiten, werden von den Pessimisten geleugnet oder kleingeredet, da diese kleinen Fortschritte nicht in ihr Weltbild passen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Was ist denn zynischer?
Natürlich: Auch 2016 wird ein Jahr sein, in dem Menschen mit bitterster Armut, Umweltkatastrophen, Terroranschlägen und Gewalt werden kämpfen müssen. Aber es wird auch ein Jahr sein, in dem sehr viel mehr Menschen die Armut hinter sich lassen, ihren Lebensstandard steigern und ein glücklicheres Leben beginnen werden.
Darum gestehe ich feierlich: Ich bin ein Optimist, mit gutem Gewissen. Und 2016 wird das beste Jahr der Menschheitsgeschichte!


Quellen:
1 Highlights from the first UK survey re ignorance of global trends. A preliminary summary by Hans Rosling, Gapminder Foundation, 3 Nov, 2013, http://www.gapminder.org/news/highlights-from-ignorance-survey-in-the-uk/
2 Max Roser (2015) – ‘World Poverty’. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: http://ourworldindata.org/data/growth-and-distribution-of-prosperity/world-poverty/ [Online Resource]
3 Max Roser (2015) – ‘Inequality between World Citizens’. Published online at OurWorldInData.org. Retrieved from: http://ourworldindata.org/data/growth-and-distribution-of-prosperity/inequality-between-world-citizens/ [Online Resource]
4 Die Lohnunterschiede nehmen ab, NZZ Online, 30.11.2015, http://www.nzz.ch/wirtschaft/die-lohnunterschiede-nehmen-ab-1.18655119
5 Avenir Suisse, Gewachsener Mittelstand, Kalenderblatt Dezember 2015, http://www.avenir-suisse.ch/52553/gewachsener-mittelstand/
6 Tyler Cowen, In Praise Of Commercial Culture, 1998